Nach Terror-Anschlag
Schwere Pannen bei Jagd auf Boston-Bomber
20.04.2013
9.000 Polizisten suchten einen 19-Jährigen - und wären beinahe gescheitert.
Die Erleichterung stand US-Präsident Barack Obama ins Gesicht geschrieben. Trotz Müdigkeit und Erschöpfung trat er noch in der Nacht auf Samstag vor die Kameras. Nur kurz zuvor war eine der größten Verbrecherjagden in der US-Geschichte zu Ende gegangen. Der 19 Jahre alte Verdächtige des Terroranschlags auf den Boston-Marathon wurde schwer verletzt festgenommen , sein 26-jähriger Bruder erschossen. In Boston gingen jubelnde Menschen auf die Straße. "Wir lassen uns nicht terrorisieren", rief Obama den Amerikanern aus dem Weißen Haus zu.
Doch Obama weiß: Der Terroranschlag war eine der schwersten Herausforderungen seiner Amtszeit - und sie hätte ganz anders enden können. Die rasche Festnahme des zweiten Terrorverdächtigen war nichts anderes als reiner Zufall.
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Flüchtiger durch Zufall geschnappt
Tatsächlich mutete die Verfolgung der beiden Brüder über weite Strecken wie der ungleiche Kampf zwischen David und Goliath an. Das Foto des 19-jährigen Dzhokhar Tsarnaev zeigt einen Jüngling mit dunklen Locken und sanftem Blick - eher ein Jugendlicher als ein Mann. Ist das wirklich ein Gegner, der die USA herauszufordern vermag? Ein Megaaufgebot von 9.000 Polizisten war mobilisiert, um ihn zu fassen - und wäre doch beinahe grandios gescheitert.
Nicht nur Obama, auch das FBI und die Medien decken gnädig einen Mantel des Schweigens über die Fahndungspanne. Denn das Grundstück, auf dem der 19-Jährige am Freitagabend schließlich umzingelt und nach einem Feuerwechsel gefasst wurde, war bereits zuvor durchsucht worden - ohne Ergebnis.
Die Polizei hatte praktisch im gesamten Großraum Boston den Ausnahmezustand verhängt: Es herrschte Ausgangssperre, der Verkehr war lahmgelegt. Doch erst "Kommissar Zufall" verhinderte eine Blamage der Behörden.
In seinem Versteck war Tsarnaev von einem Hausbesitzer entdeckt worden. Nach Aufhebung der Ausgangssperrewar er in seinen Garten gegangen und hatte Blutspuren auf einer Bootsplane entdeckt. Außerdem war ein Sicherungsseil durchtrennt. Als er unter die Plane schaute, entdeckte er einen blutüberströmten Körper. Er habe dann den Notruf gewählt.
Nach Angaben der Polizei gab der 19-Jährige letztlich auf. "Schließlich tat er, was wir ihm befohlen hatten, stand auf und hob sein Hemd hoch", sagte der Polizeichef von Watertown, Edward Deveau. Die Polizei wollte so sehen, ob der Verdächtige Sprengstoff bei sich trug. Deveau sprach von "20 Minuten Verhandlungen" mit dem Schwerverletzten. Er räumte allerdings ein, dass Tsarnaev dabei "nicht viel gesagt" habe. Er habe aber noch um sich geschossen.
Der 19-Jährige liegt im Krankenhaus, sein Zustand ist ernst . Er hat viel Blut verloren. Das Krankenhaus, in dem er liegt, wird schwer bewacht.
Älterer Bruder bereits 2011 überprüft
Das FBI hatte Tamerlan bereits 2011 als "radikalen Islamisten" im Visier - ohne Hinweise auf terroristische Aktivitäten zu finden. Damals wurde Tsarnaev auf Wunsch einer ausländischen Regierung überprüft, wie die Bundespolizei mitteilte. Das Ersuchen habe sich auf Informationen gestützt, wonach Tamerlan sich von 2010 an drastisch verändert habe.
Er habe Vorbereitungen getroffen, die USA zu verlassen, um sich nicht näher beschriebenen Untergrundgruppen in dem ausländischen Land anzuschließen, hieß es. Das FBI überprüfte ihn damals, sprach auch mit ihm selbst und Familienangehörigen.
Subeidat Tsarnaeva, die sich als Mutter der beiden Männer ausgab, sagte dem englischsprachigen Staatsfernsehen Russia Today, ihr Sohn Tamerlan habe sich seit etwa fünf Jahren stark für den Islam interessiert. "Aber er hat nie gesagt, dass er den Weg des Jihads einschlagen will."
Anklage wegen Terrorismus?
Medienberichten zufolge bereitet das US-Justizministerium gegen Dzhokhar Tsarnaev eine Anklage wegen Terrorismus vor. Außerdem könnte der junge Mann vom US-Staat Massachusetts wegen Mordes angeklagt werden. Die Anklageerhebung könnte eingeleitet werden, noch bevor Tsarnaev aus dem Krankenhaus entlassen wird. Den Angaben zufolge befinden sich Staatsanwälte in der Klinik im Bostoner Vorort Cambridge, in dem der Verdächtige behandelt wird.
Welche Höchststrafe Dzhokhar droht, hängt davon ab, ob er nach Landes- oder Bundesrecht angeklagt wird: Massachusetts kennt keine Todesstrafe, die USA als Bundesstaat aber schon.