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Letzter Vorhang für "Cavaliere" Berlusconi

09.11.2011

Berlusconi spielt bei Rücktritt auf Zeit: Finanzmärkte gaben den entscheidenden Stoß.

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© Reuters
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Die Ära des Silvio Berlusconi scheint beendet. Nach zahlreichen Sexaffären, Korruptionsvorwürfen und inmitten der Schuldenkrise muss der 75-jährige "Cavaliere" die Macht abgeben. Was der Opposition in den vergangenen 17 Jahren nicht wirklich gelang, haben jetzt mehr oder weniger die Finanzmärkte erzwungen - der Milliardär stolpert quasi über den Kapitalismus.

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So hatte sich der dienstälteste italienische Regierungschef seit dem Zweiten Weltkrieg das Ende seiner politischen Karriere wohl nicht vorgestellt. Nach seinem fulminanten Wahlsieg vor drei Jahren versprach Berlusconi eine Wandlung hin zum weisen Staatsmann, kündigte harte Reformen an, um die lahmende Konjunktur zum Laufen zu bringen. Getan aber hat sich in Italien nur wenig. Der Anfang vom Ende nahm dann mit den öffentlich gewordenen Sex-Eskapaden seinen Lauf, die publik wurden, nachdem sich Berlusconis Frau Veronica 2009 von ihm abwendete und das Image des Unbesiegbaren erstmals tiefe Kratzer bekam.

In vier Betrugs- und Sexprozessen steht Berlusconi mittlerweile vor Gericht. Der als "Rubygate" bekanntgewordene Skandal ist nur einer davon. Berlusconi wird dabei vorgeworfen, gegen Geld Sex mit einer Minderjährigen gehabt zu haben. Und eine weitere Sex-Affäre ist im Kommen - Zeitungen warteten mit Enthüllungen über neue "Bunga-Bunga"-Orgien auf. In heimlich mitgeschnittenen Gesprächen rühmt sich der rüstige Senior, in einer Nacht Sex mit acht Frauen gehabt zu haben. Wegen seiner sexuellen Eskapaden, so räumte der Medienmogul ein, komme er kaum zum regieren.

Dabei war ihm sein schillernder Lebenswandel nicht in die Wiege gelegt: Erzogen wurde Berlusconi in einer Schule des Salesianer-Ordens, später absolvierte er an der Mailänder Uni sein Jus-Examen mit Bestnote. In Finanzfragen erwies sich Berlusconi schon früh als einfallsreich: Sein Studium finanzierte er sich als Conferencier und Pianist bei Schiffskreuzfahrten und Auftritten als Sänger. Damals hatte er noch keine Schönheitsoperationen nötig, mit denen er Jahrzehnte später für Aufsehen sorgte.

Im Ausland gilt "Il Cavaliere" wegen seiner extravaganten Art und seines Hangs zu schlüpfrigen Scherzen oft als Witzfigur. Und sein Ego scheint unbegrenzt: Als Chef einer Mitte-Rechts-Regierung verglich er sich einmal mit keinen Geringeren als Jesus und Napoleon und fügte - obwohl keineswegs ein Riese - hinzu, er sei definitiv höher gewachsen als der Franzosen-Kaiser.

Mit der Andeutung, er habe die finnische Präsidentin Tarja Halonen verführt, um deren Unterstützung für den Sitz der EU-Lebensmittelbehörde nach Italien zu holen, provozierte Berlusconi eine kleine diplomatische Krise. "Ich habe alle meine Playboy-Tricks angewendet, obwohl ich sie seit geraumer Zeit nicht mehr genutzt habe." Für einen Eklat sorgte er auch, als er den deutschen Politiker Martin Schulz im Europarlament mit einem Nazi-Schergen verglich.

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Berlusconi fing im Immobiliengeschäft an und gründete später den Medienkonzern Mediaset, der das Fernsehgeschäft in Italien dominiert. In den frühen 90er Jahren gründete Berlusconi die Partei Forza Italia, die rasch das Vakuum füllte, das der Zusammenbruch der bis dahin vorherrschenden Christdemokraten hinterlassen hatte. Kritiker werfen ihm vor, er habe seine erste Amtszeit von 1994 bis 1996 hauptsächlich genutzt, um Gerichtsverfahren abzuwehren und seine privaten Geschäfte voranzutreiben.

Die Rückkehr an die Macht gelang ihm 2001. Seine Koalition mit Neo-Faschisten, Christdemokraten und den Separatisten von der Lega Nord hielt die gesamte Legislaturperiode. Das war Rekord in einem für seine kurzlebigen Regierungen berüchtigten Land. Die knappe Wahlniederlage gegen Romano Prodi 2006 hat das Stehaufmännchen der italienischen Politik nie anerkannt.

Seit 2008 war Berlusconi dann wieder an der Macht. Seither trieb er den Wiedereinstieg Italiens in die Atomkraft voran und musste sich weiter in Betrugs-, Steuer- und Bestechungsaffäre verteidigen. Im Februar gingen Hunderttausende Frauen im ganzen Land auf die Straße und forderten den Rücktritt Berlusconis. Im Mai erlitt Berlusconis Popolo della Liberta schwere Niederlagen bei etlichen Bürgermeisterwahlen. Im Juni sprachen sich in einer Volksabstimmung über 94 Prozent gegen den Bau von Atomkraftwerken aus.

Im Juli brachen wegen zunehmender Angst an den Finanzmärkten die Kurse italienischer Staatsanleihen ein. Die Regierung in Rom musste daraufhin unter dem Druck der Finanzmärkte mehrfach Sparpakete nachbessern. Die Sparmaßnahmen sind in der Bevölkerung zutiefst unpopulär und raubten Berlusconi offenbar die letzten Sympathien.

Die Ära Berlusconi im Zeitraffer - Seite 2 >>>

18 Jahre Silvio Berlusconi im Zeitraffer

Jänner 1994: Nach der Diskreditierung der politischen Klasse Italiens im Zuge von Korruptionsermittlungen gründet der Medienmogul Berlusconi die Partei Forza Italia.

28. März 1994:
Er gewinnt die Parlamentswahl und wird einen Monat später Ministerpräsident einer Mitte-rechts-Koalition mit der Nationalen Allianz von Gianfranco Fini und der Lega Nord von Umberto Bossi.

23. November 1994: Angesichts von Ermittlungen gegen seine Fininvest-Gruppe wegen Verdachts der Bestechung von Steuerprüfern bietet Berlusconi an, seine drei Fernsehsender zu verkaufen.

22. Dezember 1994: Bossi kündigt die Koalition auf und bringt damit die erste Regierung Berlusconi nach wenigen Monaten zu Fall.

21. April 1996: Bei der Parlamentswahl unterliegt Berlusconi dem Mitte-links-Bündnis um Romano Prodi. Er bleibt Oppositionsführer und versucht gleichzeitig Ermittlungen gegen seine Unternehmensgruppe abzuwehren.

13. Mai 2001: Mit Versprechen von Steuersenkungen, Arbeitsplätzen und besserer Infrastruktur gewinnt Berlusconi zum zweiten Mal die Parlamentswahl. In den folgenden fünf Jahren führt er die am längsten amtierende Regierung Italiens seit dem Zweiten Weltkrieg.

20. April 2005: Nach schwer verlorenen Regionalwahlen tritt Berlusconi im Zuge einer Regierungsumbildung kurzzeitig zurück, wird aber gleich wieder Ministerpräsident.

10. April 2006: Nach einer ganz knappen Wahlniederlage gegen Prodi will Berlusconi das Ergebnis zunächst nicht anerkennen und vermutet Unregelmäßigkeiten.

18. Dezember 2006: Nach einem Zusammenbruch bei einer Kundgebung erhält er einen Herzschrittmacher.

14. April 2008: Sein Mitte-rechts-Bündnis siegt bei der Parlamentswahl deutlich. Berlusconi wird zum dritten Mal Regierungschef.

3. Mai 2009: Nach 19 Jahren Ehe und drei gemeinsamen Kindern reicht seine Frau Victoria Lario die Scheidung ein und nennt als Grund ausdrücklich seinen Hang zu jungen Frauen.

10. September 2009: Berlusconi weist Rücktrittsgerüchte wegen eines Sexskandals zurück. Ein Callgirl hatte behauptet, Bandaufnahmen von einer gemeinsamen Nacht in der Residenz des Regierungschefs zu besitzen.

13. Dezember 2009: Bei einer Kundgebung in Mailand wirf ein Mann Berlusconi eine kleine Statue ins Gesicht und verletzt ihn leicht.

30. Juli 2010: Nach langen Streitereien kommt es zum Zerwürfnis mit Koalitionspartner Fini.

14. Dezember 2010: Berlusconi übersteht aufeinanderfolgende Vertrauensabstimmungen, das äußerst knappe Ergebnis im Parlament macht das Regieren aber schwierig.

15. Februar 2011:
Ein Gericht in Mailand erhebt Anklage wegen des Verdachts, er habe eine Minderjährige für Sex bezahlt und sein Amt dazu missbraucht, die Sache zu vertuschen. Der Prozess beginnt im April.

9. Juli 2011: Berlusconis Firmengruppe wird wegen Bestechung bei der Übernahme des Mondadori-Verlags in zweiter Instanz zu 560 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt.

14. Oktober 2011:
In der Euro-Krise zunehmend unter Druck, verliert Berlusconi im Parlament eine routinemäßige Budgetabstimmung. Er stellt zum 51. Mal in seiner politischen Laufbahn die Vertrauensfrage und gewinnt.

8. November 2011: Bei der neuerlichen Budgetabstimmung wird deutlich, dass Berlusconi keine Mehrheit mehr hat. Der 75-Jährige kündigt an zurückzutreten, sobald das Parlament die von der EU zur Bekämpfung der Schuldenkrise geforderten Reformen verabschiedet habe.

9. November 2011:
Berlusconi bestätigt, dass er sich nicht um eine weitere Amtszeit bewerben will und nennt Angelino Alfano als Nachfolgekandidaten seiner Partei.

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