Über die toten Kollegen werden Witze gemacht. Aber es gibt ein Tabu.
Auf die Verkaufsstellen des französischen Satiremagazins " Charlie Hebdo " hat es Mittwoch früh einen riesigen Ansturm gegeben. Nach wenigen Stunden war die erste Ausgabe des Blattes seit dem Attentat auf die Redaktion vergriffen. Immerhin: In den nächsten Tagen soll Nachschub kommen, insgesamt werden drei Millionen Exemplare in 16 Sprachen (darunter Arabisch) gedruckt.
Die rechten Frankreichs spielen sich als neue Freunde von "Charlie Hebdo" auf. Deswegen haben auch Marine Le Pen von der rechten Partei Front National und ihren rechtsextremen Vater Jean-Marie Le Pen ihren Platz im Heft. Statt "Ich bin Charlie" trägt Marine Le Pen "Ich bin begeistert", ihr Vater hält hoch: "Ich bin Charlie Martel". (Anmerkung: Karl Martell, wie er auf Deutsch genannt wird, hatte 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers die einfallenden Araber abgewehrt.)
Ein Comic zeigt einen der beiden Attentäter, auf dem Sofa der Psychiaterin und Charlie-Redakteurin Elsa Cayat, die bei bei dem Anschlag ums Leben kam. "Ich habe geträumt, ich hätte 'Charlie Hebdo' umgebracht", sagt ihr vermummter Patient. Er beschreibt die Tat, doch die Psychiaterin hinterfragt ständig, was der Traum anderes bedeuten könnte. Sie fordert ihn auf, seine Alpträume zu Papier zu bringen. Er gibt ihr eine blutrünstige Zeitung. Sie konstatiert: "Ah ok. Sie zeichnen wirklich beschissen. So werden Sie es nicht morgen zu 'Charlie Hebdo' schaffen, das kann ich Ihnen versichern."
Drei Islamisten sitzen schlecht gelaunt beieinander. "Die Leute von 'Charlie Hebdo' dürfen wir nicht anrühren", sagt einer. "Sonst werden sie den Leuten als Märtyrer erscheinen und uns im Paradies die Jungfrauen wegschnappen."
Im Auslandsteil wird vom jüngsten Boko-Haram-Massaker in Nigeria berichtet. Zwei Dschihadisten frohlocken: "2000 potenzielle Charlie-Abonnenten weniger". Der Islamische Staat habe angekündigt, vier Millionen Frauen zwischen 11 und 46 Jahren genital verstümmeln zu wollen, lässt "Charlie Hebdo" IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi behaupten. "Auch dafür suchen wir ausländische Freiwillige."
"Erste Bilanz der Tage nach dem Anschlag" Links im Kasten: "Alle zusammen: Ich bin Charlie". Dazu singt die Menge die französische Nationalhymne. Darunter: Philippe, Katerine, Wer erinnert Euch ans Kiffen am nächsten Tag?. Rechts im Kasten: "Feste die Hände Herrn Manuel Valls schütteln".
Karikatur der Liebe: Zunächst links: Ich liebe Dich mein Schatz, schön dass Du lebst. Rechts daneben: Halbmast, Auch Libido auf Halbmst. Links unten: Madonna unterstütz "Charlie": "Ich stelle mein Höschen zur Verfügung". Und rechts im Kasten: Auch Angela Merkel: "Ich bin kein Träger eines Höschens".
Die Redaktion der Zeitung "Liberation" wird karikiert. Links: "Man kann bei der 'Liberation' rauchen. Charb, der ermordete Charlie-Hebdo-Chefredakteur": Lungenkrebs, Idiotenbande". Unten dann ein Redakteur: "Entschuldigung, Charb". Im Kasten links unten spricht Hollande: "Der französische Staat stellt eine Million Euro für "Charlie" zur Verfügung. Google hilft.
Man habe eine Zeitung unter "kaum vorstellbaren Bedingungen" produziert, berichtet Redakteurin Zineb El Rhazoui. Im Leitartikel heißt es: "Seit einer Woche hat 'Charlie', eine atheistische Zeitung, mehr Wunder vollbracht, als alle Heiligen und Propheten zusammen.
Die Kollegen vom "Spiegel" haben einen ersten Überblick über die Witze in der ersten "Charlie Hebdo"-Ausgabe nach dem Massaker:
In der Ausgabe gibt es eigentlich nur ein Tabu: die Namen der Attentäter werden nicht genannt. Man wolle den Mördern keine Bühne geben, berichtet einen der Karikaturisten.
IS: Neue Karikaturen "Extrem dumm"
Die jihadistische Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) hat das Cover der neuen Ausgabe der französischen Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" verurteilt. Die Veröffentlichung neuer Mohammed-Karikaturen sei "extrem dumm", hieß es am Mittwoch in einer Erklärung im Radiosender Al-Bayan, den IS in von ihnen kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak ausstrahlt. Damit werde der Prophet erneut beleidigt.
Kritik aus dem Iran
Der Iran hat das Titelbild der neuen "Charlie Hebdo"-Ausgabe mit der Karikatur des weinenden Propheten Mohammed verurteilt. "Das ist eine provokative Geste und für Muslime verletzend", sagte Außenamtssprecherin Marsieh Afcham am Mittwoch in Teheran. Sie sprach von einem Missbrauch der Pressefreiheit, der für Muslime inakzeptabel sei.
Türkische Zeitung druckt "Charlie Hebdo" ab
In der mehrheitlich muslimischen Türkei hat die linksnationalistische Zeitung "Cumhuriyet" vier Seiten der neuen Ausgabe von "Charlie Hebdo" als Beilage nachgedruckt. Das regierungskritische Blatt berichtete Online, die Polizei habe die Lastwagen mit den frisch gedruckten Zeitungen in Istanbul in der Nacht zu Mittwoch gestoppt.
Nachdem die Polizei festgestellt habe, dass die Karikatur des Propheten Mohammed von der neuen "Charlie Hebdo"-Titelseite nicht in dem Nachdruck enthalten ist, habe die Staatsanwaltschaft die Weiterfahrt erlaubt. Allerdings ist die Titelseite, auf der der Prophet Mohammed weint und ein Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" hält, als kleineres Bild an zwei anderen Stellen der "Cumhuriyet"-Ausgabe vom Mittwoch zu finden. Vor dem "Cumhuriyet"-Gebäude in Istanbul verschärfte die Polizei die Sicherheitsvorkehrungen.