Österreich-Reporter Herbert Bauernebel berichtet vor Ort von der Öl-Katastrophe.
Ich sitze im Flieger im Anflug auf New Orleans. Jet Blue. In den kleinen Live-TV-Fenstern läuft der Bombenanschlag vom New Yorker Times Square. Great! Soll ich gleich wieder umdrehen? Nein, ich muss weiter – zur größten Ölkatastrophe aller Zeiten. Der Plan: Mit dem Mietwagen vom Flughafen nach der Ankunft weiter runter bis zum Straßenende im Mississippi Delta. Venice heißt der Ort, Vergleiche mit der Lagunenstadt sind – was bald offensichtlich wird – unangebracht.
Leider stelle ich am iPhone irrtümlich die Driving Directions auf “Zu Fuß gehen” ein und wundere mich, warum die Route allen Autobahnen aus dem Weg geht. Als ich dann bei einer Fähre über dem Mississippi lande, wird mir endgültig klar: Irgendwas stimmt nicht. Die Anmerkung der Reisezeit mit einem Tag und vier Stunden tat ich noch als Software-Bug ab. Kostete mir eine gute halbe Stunde die Blödheit. Um 2 Uhr früh hält mich inmitten der Einöde auch noch ein Streifenwagen an. Ich bin 55 statt 35 mph gedüst, anderswo fast ein Haftgrund. Doch der gemütliche Louisiana-Sumpf-Cop hält verdutzt meinen rosa Zettel namens Ösi-Führerschein in den Händen – und wünscht mir gute Weiterreise.
Ölpest
Nachdem ich nicht der erste am Reporter-”Ground
Zero” der großen Ölpest 2010 bin, ist die Suche nach einem Hotel
aussichtslos. Ich schlafe im Auto am Rücksitz – drei Stunden lang. Bei
Sonnenaufgang geht es auf die Suche nach dem Öl, doch das stellt sich rasch
als unmöglich heraus. Es hat nur die entlegensten Ränder des Deltas erreicht
– und die durch böige Winde aufgepeitschte See würde eine Ausfahrt zum
Selbstmordkommando machen. Ich treffe stattdessen verzweifelte Fischer: “Wir
haben Pandoras Box geöffnet”, zürnt der lokale Fischerboot-Kapitän Shane
Mardse: “Und jetzt wissen wir nicht, wie wir sie wieder schließen können”.
Hunderte Tierarten
Tatsächlich: Das Sumpfgebiet des
Mississippi-Deltas gilt als Naturwunder, in dem Labyrinth schilfverwachsener
Wasserwege leben 400 Tierarten. Und Satelliten-Bilder zeigten, dass allein
am Samstag der Ölteppich auf die dreifache Größe explodierte. Die
Shrimp-Fischer – irgendwie erinnert mich das alles recht an “Forrest Gump” –
fürchten um ihre Existenz: “Zuerst wurden wir von Hurrikan Katrina fast
ausgelöscht – und jetzt macht uns die Ölpest komplett den Gar aus”, so
Stefon Cage.
Menschen in Sorge
Donald Sullivan fischt seit seiner Kindheit
“Shrimp”, sein Gesicht ist zerfurcht von der Seeluft: “In zwei Wochen ist
die beste Fangzeit, doch viele fischen bereits jetzt, vor dem Hereinbrechen
der Ölpest”. Doch die Garnelen seien dann “nur halb so groß”, sagt er.
Sollte die Ölpest in die Fischgründe eindringen, drohe Tausenden der Ruin.
Sullivan: “Die versprühten Chemikalien lassen das Öl verklumpen, es sinkt
zum Meeresboden, die Gifte gelangen in die Nahrungskette – für Jahrzehnte”.
Wut auf BP
Dem Öl-Multi BP glaubt hier niemand. Fischer und
Anrainer haben ihre eigene Theorie: Das Sicherheitsventil am Meeresboden,
der “Blow-Out Preventer”, sei bei der Explosion noch gar nicht richtig
installiert gewesen – und versagte deshalb. “Die angeblichen
Reparaturmaßnahmen mit dem Tauchrobotern”, so Fischer Mardse, sei nur “eine
Farce”. Aus mehreren Lecks in der nun komplett verbogenen Bohrleitung
sprudelt das Rohöl in den Golf. Dabei bemüht sich BP.
Ich fahre an einer High-School in Venice vorbei und sehe die Menschenschlangen. Was ist da los? Für die Reinigungsarbeiten angehörte Fischer erhalten einen Blitzkurs im Umgang mit der giftigen Ölbrühe. Zwei Stunden wird den künftigen, bezahlten Helfern das Handhaben des Ölfilms beim Absaugen von der Wasseroberfläche – und das Einsammeln der Teerklumpen eingetrichtert. BP will zumindest den Anwohnern, deren Lebengrundlage für immer zerstört sein könnte, noch einen letzten Job anbieten. Dass BP-Sprecher David Kinnaird dann auch noch erzählt, wie “stolz” er ist auf den Umgang des Öl-Multis mit dem Desaster, stößt schon gewaltig auf.
"Amerikas Tschernobyl"
Und schuld sind ohnehin die
anderen: Der Betreiber der Plattform, “Transocean” und der Hersteller des
kaputten Ölquellen-Dichtventils, “Haliburton”. BP gehöre ja nur das Öl, sagt
ein anderer Mitarbeiter. Ja, und jetzt gehört ihnen auch “Amerikas
Tschernobyl”, wie es der Chef des Sierra Clubs dramatisch ausdrückte.
Ich schaue mir das Tierrettungs-Zentrum an. Ein Vogel, eine Northern Gannet, wurde dort bisher gereinigt und gerettet – die Bilder gingen binnen Stunden rund um die Welt. Jetzt ist es das berühmteste Federvieh der Erde. “THE Bird”, im Journalisten-Jargon. Doch er ruht, wir können ihn nicht sehen. Die Vogelretter, die gleich einen ganzen Hangar adaptierten, können hier 200 bis 300 Tiere pro Tag behandelt, erklärt Jay Holcomb vom “Bird Rescue Research Center”. Doch nachdem es mehr Reporter aus ölverklebte Vögel gibt, wird das Reinigungsprozedere an einer Holzente den TV-Teams vorgeführt. Wie gesagt: Schwierig zu covern für uns Reporter diese Jahrhundertstory.
Die Verführung beginnt: “Zuerst wird an den Federn die Konsistenz der Ölverschmutzung getestet”, sagt Helferin Rebecca Dunne, dann das Federkleid mit Geschirrspülmittel gewaschen, in mehreren Plastikschalen. “Bei großen Tieren dauert der Prozess bis zu 45 qualvolle Minuten”. Augen und Schnabel reinigen sie mit Wattestäbchen, am Ende wird in Waschbecken noch das Spülmittel raus gewaschen.
Überlebensrate
Die Überlebensrate bei den Vögeln liegt
zwischen hundert und 20 Prozent, erläutert Dunne: “Es hängt von der Art des
Öls ab und wie lange die Tiere der Pest ausgesetzt waren”. Die Effekte
beschreibt sie als grauenhaft: Die Vögel verdursten langsam, durch ihr
konstantes Picken am Federkleides gelangt das toxische Öl in den Körper,
greift vor allem die Leber an.
Präsident Obama ist im Rettungszentrum eingetroffen, seine Wagenkolonne rast durch das ärmliche Trailer- und Fischer-Dorf. Die Einwohner stehen am Straßenrand und klatschen begeistert. Obamas Katrina? Kaum wer denkt hier so.