Kremlchef Wladimir Putin erklärt der Türkei den Wirtschaftskrieg.
Der russische Gegenangriff erfolgt still und leise. Ohne Kommentar und staatstragenden Auftritt unterzeichnet Kremlchef Wladimir Putin einen Erlass, mit dem er der Türkei den Wirtschaftskrieg erklärt.
Wirtschaftssantionen
Mit Sanktionen für den Handel, mit Einschränkungen für türkische Unternehmen sowie Arbeitnehmer und vor allem mit umfassenden Strafmaßnahmen für den türkischen Tourismus will Putin die Führung in Ankara empfindlich treffen.
Putin übt Vergeltung für den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei im Grenzgebiet zu Syrien. Die Regierung in Ankara wirkt inzwischen, als würde sie den Abschuss gerne rückgängig machen - und als habe sie die Folgen dann doch unterschätzt. Dialogversuche Ankaras scheint Moskau ins Leere laufen zu lassen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan sagte am Freitag, er habe die russische Seite um ein Telefonat gebeten. "Bis jetzt haben sie nicht zurückgerufen."
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Putin fordert Entschuldigung
Putin fordert von Erdogan eine öffentliche Entschuldigung, die der türkische Präsident bislang verweigert. Dafür allerdings, dass Erdogan normalerweise stur auf seinen Standpunkten beharrt, geht er nun verhältnismäßig weit auf Putin zu: "Wir bedauern den Vorfall wirklich", sagt der Präsident am Samstag. "Wir wünschten, so etwas wäre nicht passiert, aber leider ist es passiert."
Putins Revanche für den Abschuss folgte prompt. Doch vieles an den Sanktionen bleibt zunächst vage. Die Regierung in Moskau soll unter anderem Importverbote aussprechen. Vor allem türkische Lebensmittel dürften betroffen sein. An den Umgang mit solchen Verboten ist Russland schon gewöhnt, spätestens seit dem Einfuhrstopp für Nahrungsmittel aus der EU und den USA. Damit hatte sich Russland 2014 gegen Strafmaßnahmen des Westens wegen der Ukrainekrise gewehrt. Seither nutzt Moskau die Einschränkungen, um die eigene Landwirtschaft leistungsfähiger zu machen.
Auswirkungen
Wie stark sich die Sanktionen auf türkische Unternehmen und Arbeiter auswirken werden, ist noch nicht abzusehen. Mehr als 67 000 Türken arbeiten nach Behördenangaben 2015 in Russland. Die meisten von ihnen verdienen auf Baustellen ihr Geld. "2016 werden es deutlich weniger werden", sagt Arbeitsminister Mixim Topilin. Von einem "intelligenten Protektionismus" sprechen Wirtschaftsexperten.
Schon vor Putins Erlass ahnte die regierungstreue türkische Zeitung "Sabah": "Die zornige russische Regierung sucht nach wirtschaftlicher Rache gegen die Türkei." Russland ist nach Deutschland der wichtigste Handelspartner der Türkei.
Schwere Folgen
Die "Rache" könnte unter anderem schwere Folgen für den Textil-und Agrarsektor in der Türkei haben, die viel nach Russland exportieren. Besonders hart wird sie aber auf den Tourismussektor niedergehen, der auf die Russen angewiesen ist - sie stellen nach den Deutschen die größte Gruppe der Urlauber. Ganze Hotelanlagen an der türkischen Riviera sind fast exklusiv auf russische Reisende ausgerichtet.
Mehr als vier Millionen Russen zog es nach Angaben der Moskauer Tourismusbehörde 2014 zum Entspannen in das Land am Bosporus. Auf rund zehn Milliarden US-Dollar (rund 9,4 Milliarden Euro) schätzt Behördenleiter Oleg Safonow die Einnahmen, die die Türkei dadurch verliert, und die künftig der russische Tourismus einstreichen soll.
Ob das klappt? Klimatisch verlockende Alternativen könnten sonnige EU-Staaten wie Griechenland, Italien oder Spanien sein.
Gasgeschäft
Den wohl sensibelsten Wirtschaftsbereich hat Putin bei seinem Schlag gegen die Türkei aber ausgespart: das für beide Seiten lukrative Gasgeschäft. Ein Stopp der russischen Gaslieferungen hätte die Regierung in Ankara schmerzhaft getroffen. Nach Behördenangaben bezog die Türkei 2014 rund 54 Prozent ihrer Gesamtimporte aus Russland. Doch auch Moskau würde sich mit Einschränkungen ins eigene Fleisch schneiden. Die Türkei ist mit rund 27 Milliarden Kubikmetern 2014 der größte Abnehmer von russischem Gas nach Deutschland.
Offen ist, was angesichts der schwersten Krise zwischen Moskau und Ankara seit Jahrzehnten aus dem Milliardenprojekt Turkish Stream werden wird. Mit der Leitung durch das Schwarze Meer will Putin die Energieversorgung der Türkei noch enger an Russland binden und damit hüben wie drüben Rubel und Lira rollen lassen. Die Verhandlungen sollten nach der Amtsübernahme der neuen türkischen Regierung fortgesetzt werden. Daraus dürfte erstmal nichts werden. Das neue Kabinett in Ankara nahm seine Arbeit am vergangenen Dienstag auf - jenem Tag, an dem die Türkei das russische Kampfflugzeug abschoss.