Ägypten
Tahrir-Platz trotz Schüssen weiter besetzt
07.02.2011
In Rafah wurde eine Polizeikaserne mit Panzerabwehrraketen angegriffen.
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo haben auch am Montag Tausende Menschen bereits den 14. Tag in Folge für den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak demonstriert. Die Nacht verlief abgesehen von Warnschüssen der Armee am späten Sonntagabend ruhig, berichteten Augenzeugen. Auch in anderen Landesteilen dauerten die Proteste an. Vizepräsident Omar Suleiman hatte am Vortag mit der Opposition verhandelt, darunter erstmals auch mit der bis dato verbotenen Muslimbruderschaft. Die Opposition beharrte weiter darauf, dass Mubarak die Macht rasch abgibt und nicht bis zu der im September geplanten Präsidentschaftswahl im Amt bleibt.
Verfassungsänderung, mehr Pressefreiheit, Ende des Ausnahmezustands
Bei den Gesprächen wurde nach Angaben von Oppositionsvertretern Einigung erzielt, dass die jüngsten Versprechen Mubaraks umgesetzt werden sollten. Dazu zählten eine Verfassungsänderung, mehr Pressefreiheit und ein Ende des Ausnahmezustands - sobald dies die Sicherheitslage zulasse. Zudem solle die Jugend eine größere Rolle in der Politik bekommen und Korruption bekämpft werden. Die Muslimbruderschaft zeigte sich nach dem Treffen dennoch enttäuscht. Die Regierung sei auf die meisten Forderungen nicht eingegangen. Oppositionsführer ElBaradei nahm nicht selbst an den Gesprächen teil. Er sei nicht eingeladen worden und halte die Diskussionen zudem für undurchsichtig, sagte er dem US-Sender NBC.
Obama zuversichtlich
US-Präsident Barack Obama äußerte sich zuversichtlich, dass sich auch die künftige Regierung Ägyptens als guter Partner der USA erweisen werde. Voraussetzung sei ein "geordneter" Übergangsprozess, sagte Obama am Sonntagabend in einem Interview des US-Senders Fox. Fest stehe: "Ägypten wird nicht zu dem zurückkehren, was es war." Auf die Frage nach der Rolle der Muslimbruderschaft in einer künftigen Regierung äußerte sich der Präsident zurückhaltend. Die Islamistenbewegung sei gut organisiert, räumte Obama ein, aber sie sei nur eine Gruppe im Land.
Clinton: Muslimbrüder nicht ausschließen
US-Außenministerin Hillary Clinton warnte davor, die oppositionelle Muslimbruderschaft vom ägyptischen Übergangsprozess auszuschließen. Clinton verteidigte den Standpunkt der USA sowie europäischer Staaten, wonach Mubarak nicht sofort zu einem Rücktritt gedrängt werden sollte.
Rafah: Panzerabwehrraketen auf Polizeikaserne gefeuert
Unterdessen feuerten Unbekannte am Montagmorgen vier Panzerabwehrraketen auf eine Polizeikaserne in der ägyptischen Stadt Rafah. Bei dem Angriff auf der Sinai-Halbinsel im Nordosten Ägyptens an der Grenze zum Gazastreifen sei ein Polizist verletzt worden, verlautete aus Sicherheitskreisen. Wer hinter dem Angriff stand, war zunächst unklar. In den vergangenen Wochen waren in der Region immer wieder Angriffe auf Regierungs- und Behördengebäude verübt worden. Am Samstag hatten Unbekannte einen Sprengstoffanschlag auf eine nach Israel und Jordanien führende Gasleitung verübt.
Sinai-Halbinsel: Warnung vor mehr Gewalt
Nach dem Anschlag auf die Erdgaspipeline warnte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Montag vor mehr Gewalt auf der Sinai-Halbinsel. "Der Sinai gleicht einem Pulverfass, da das Regime von Präsident Mubarak - den dort lebenden Beduinen grundlegende Rechte vorenthalten hat", erklärte GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius in Göttingen laut einer GfbV-Aussendung. "Mit Polizeiwillkür, Massenverhaftungen und unfairen Gerichtsverfahren sollten die Beduinen eingeschüchtert und ruhig gestellt werden. Dieser Versuch ist offensichtlich gescheitert", so Delius.
Reporter ohne Grenzen "entsetzt"
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG/RSF) zeigte sich "entsetzt", angesichts der "zahlreichen Übergriffe gegen Journalisten bei den Unruhen in Kairo" und der Nachricht vom Tod eines ägyptischen Journalisten. In einer Aussendung am Montag hieß es, rund 72 Journalisten, die über die aktuellen Ereignisse in Ägypten berichteten, seien bis zum vergangenen Freitag (4. Februar) für mehr als zwei Stunden festgenommen worden. Rund 75 Journalisten seien bisher körperlich angegriffen oder bedroht worden. Bei mindestens sieben Journalisten sei der Verbleib ungeklärt (Stand Freitag 4. Februar).
Deutschland dementiert Aufnahme Mubaraks
Nach Angaben der deutschen Regierung sondierten indes Ägypten oder die USA weder offiziell noch inoffiziell eine Aufnahme Mubaraks in Deutschland. Damit gebe es für die deutsche Regierung keinen Anlass, sich mit der Frage zu befassen, ob Mubarak zu einer medizinischen Behandlung nach Deutschland kommen könne. Die "New York Times" hatte berichtet, die US-Regierung erwäge, Mubarak über eine medizinische Behandlung in Deutschland außer Landes zu bringen. Der ägyptische Präsident hatte sich zuletzt im vergangenen Jahr zu einer Operation an der Gallenblase in Deutschland aufgehalten.
Opposition fordert Abriss eines Mubarak-Denkmals
Angesichts der Proteste wackelt der Stuhl des ägyptischen Präsidenten nicht nur in Kairo, sondern auch im autoritär regierten Aserbaidschan. In der Kaukasusrepublik verlangte die Opposition den Abriss eines Mubarak-Denkmals in einem Park der Hauptstadt Baku.
"Diktatoren unterstützt": Islamistenführer kritisiert Westen
Unterdessen warf der kürzlich aus dem Londoner Exil in seine tunesische Heimat zurückgekehrte Islamistenführer Rached Ghannouchi dem Westen vor, zu lange auf "Diktatoren" in den arabischen Ländern gesetzt zu haben. Das habe sich "als ein schwerer Irrtum erwiesen, das zeigen die Revolutionen in Tunesien und Ägypten", sagte Ghannouchi dem Berliner "Tagesspiegel" vom Montag. Der gestürzte tunesische Präsident Zine al-Abidine Ben Ali und der ägyptische Staatschef Mubarak hätten Extremismus und Gewalt nicht eingedämmt, sondern sie erst hervorgebracht, indem sie moderate islamische Parteien vom politischen Leben ausgeschlossen hätten. Er selbst wolle sich "weder um irgendein Parteiamt bewerben, noch um einen Sitz im Parlament", so Ghannouchi. Auch bei der Wahl des Staatspräsidenten wolle er nicht als Kandidat antreten.
Mölzer: "EU-Außenpolitik bedeutungslos"
Die Ereignisse in Ägypten zeigten der Welt, "wie bedeutungslos die Außenpolitik der Europäischen Union" sei, sagte am Montag freiheitliche Europaabgeordnete Andreas Mölzer. Insbesondere sei es für die EU zu wenig, in offiziellen Stellungnahmen die Gewalt "aufs Schärfste" zu verurteilen und freie und faire Wahlen zu verlangen. "Wichtiger wäre es, dass sich Brüssel aktiv in den Transformationsprozess in Ägypten einbringt und als ehrlicher Makler zwischen den Parteien auftritt. Und ehrlicher Makler zu sein bedeutet auch, dass nicht versucht wird, Ägypten ein bestimmtes Modell der Demokratie überzustülpen. Vielmehr muss den Ägyptern sowie den anderen Völkern in der Region Respekt entgegengebracht werden, damit sie ihren eigenen Weg zur Demokratie finden", so Mölzer.
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