Die Islamisten stoßen von allen Seiten auf die Hauptstadt vor.
In Afghanistan haben die Taliban nach Angaben des Innenministeriums den Angriff auf die Hauptstadt Kabul gestartet. Die Islamisten stießen von allen Seiten vor, teilte das afghanische Ministerium am Sonntag mit. Die Taliban erklärten allerdings, sie hätten ihre Kämpfer angewiesen, nicht in die Hauptstadt vorzudringen. Sie sollten vielmehr an den Toren der Stadt Stellung beziehen, heißt es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung der Islamisten.
Da die Hauptstadt Kabul eine große und dicht besiedelte Stadt sei, beabsichtigten die Taliban nicht, die Stadt mit Gewalt oder Krieg zu betreten. Man wolle vielmehr mit der anderen Seite über einen friedlichen Einmarsch in Kabul verhandeln. Man werde keine Rache üben, sagt ein Taliban-Sprecher. Allen, die der Regierung oder im Militär gedient hätten, werde vergeben. Zivilisten müssten das Land nicht aus Angst verlassen.
Kämpfer bereits in der Stadt?
In sozialen Medien wurden unterdessen Berichte veröffentlicht, wonach Taliban-Kämpfer bereits in die Stadt vorgedrungen seien. Es kam zu chaotischen Szene in der Hauptstadt. Vor einer Bank gab es eine Schießerei, wie ein Bewohner der Stadt sagte. Viele Menschen versuchten, ihr Erspartes abzuheben, Lebensmittel zu kaufen und zu ihren Familien heimzukehren. Ein Soldat aus Kabul sagte, seine gesamte Einheit habe die Uniformen abgelegt.
Ein NATO-Vertreter sagte, dass mehrere EU-Mitarbeiter an einen sicheren Ort in Kabul gebracht worden seien. Nur wenige Stunden zuvor hatten die Taliban mit Jalalabad auch die vorletzte große afghanische Stadt erobert.
USA evakuieren Botschaft
In Kabul trafen immer mehr Flüchtlinge ein. Krankenhäuser mühten sich um die Versorgung zahlreicher Verletzter. Vor den Toren der Botschaften standen ganze Familien. In der Innenstadt versuchten sich viele Menschen mit Vorräten einzudecken. Hunderte Menschen übernachteten zusammengekauert in Zelten oder im Freien an Straßenrändern oder auf Parkplätzen, wie ein Bewohner berichtete. "Man kann die Angst in ihren Gesichtern sehen", sagte er. Die Taliban werteten in einer Erklärung ihr rasches Vordringen als Beleg für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. Niemand müsse um sein Leben fürchten, auch Ausländer hätten nichts zu befürchten.
US-Präsident Joe Biden warnte die Extremsten vor Übergriffen auf Amerikaner. Seine Regierung habe Taliban-Vertretern in Katar mitgeteilt, dass jede Aktion, die US-Bürger und -Soldaten in Gefahr bringe, "mit einer schnellen und starken militärischen Reaktion der USA beantwortet werden wird". Das Verteidigungsministerium stockte die Truppen zur Evakuierung von 3.000 auf 5.000 Soldaten auf. Sie sollen dabei helfen, Botschaftspersonal und einheimische Ortskräfte auszufliegen. Die US-Botschaft begann am Sonntag mit der Evakuierung. Erste Mitarbeiter hätten die Botschaft verlassen, der Großteil des Personals sei zum Abzug bereit, teilten US-Vertreter mit.