Zahlreiche Schwangerschaften

Teenager haben Sex für eine Portion Pommes

25.11.2018

Sex für eine Gratisfahrt oder etwas Essen: Bereits 11-Jährige werden geschwängert.

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© APA/BARBARA BUCHEGGER
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Der größte Wunsch der 21-jährigen Renice? "Meine Ausbildung fertig machen, um einen guten Job zu bekommen", sagte die Mutter eines eineinhalbjährigen Buben. Mit knapp 19 wurde die Kenianerin schwanger und musste die Schule verlassen. Sie reiht sich in eine Vielzahl von Teenager-Müttern im Bezirk Siaya am Viktoriasee. In der Region sind rund 40 Prozent der Schwangeren erst elf bis 19 Jahre alt.
 

Sex für Pommes

Aufklärung ist in Kenia Tabu, Missbrauch allgegenwärtig. Die Väter der Babys sind nicht nur Freunde, auch Lehrer, Priester und Taxifahrer, die die Unerfahrenheit der Mädchen und deren Armut ausnutzen. Sex ist nämlich oft die Gegenleistung für eine Mitfahrgelegenheit am kilometerlangen Schulweg oder für eine Portion Pommes frites, ein Luxusgut in Kenia. Die Männer bekennen sich zumeist nicht zu den unehelichen Kindern. Manchmal zahlen sie als Entschuldigung drei Kühe an die betroffenen Familien, statt die schwangeren Mädchen zu unterstützen, wie Dorothy Owlyo von Care Kenya im APA-Gespräch berichtete.
 
Die jungen Mütter haben mit enormer Ablehnung in der Gesellschaft zu kämpfen. Von den Familien werden sie verstoßen. Armut ist vorprogrammiert. "Ich war so traurig, als ich schwanger wurde", erzählte Renice. Ihre Freunde zogen sich zurück, der Vater des Kindes - ein Schulkamerad - machte Schluss. Schließlich stand die damals 19-Jährige völlig allein da.
 

Programm "Nawiri" 

Mit dem von Österreich unterstützten Programm "Nawiri" - was übersetzt so viel wie "ganz gesund" bedeutet - wurde Renice aufgefangen. Das Netzwerk bietet u.a. Teenager-Müttern, ihren Kindern und ihren Familien Unterstützung und lässt die Jugendlichen nicht allein. Mit dem "Siaya Maternal and Child Nutrition Nawiri"-Programm, das vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde, sollen die Mädchen darin unterrichtet werden, wie sie in der Gesellschaft leben und überleben. Sie erfahren, wie lebensnotwendig sauberes Wasser, ausgewogene Ernährung und das Stillen der Kinder sowie die Verwendung von Moskitonetzen sind. Die Sterblichkeit der Kinder in dieser Region ist nämlich sehr hoch. Von 1.000 Mädchen und Buben unter fünf Jahren überleben laut Care Österreich 112 das fünfte Lebensjahr nicht.
 
Die Mädchen bekommen Unterstützung, damit sie ihre Ausbildung weiter machen können. Denn 98 Prozent der jugendlichen Schwangeren verlassen laut einer Umfrage in der Region rund um den Viktoriasee die Schule, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder allein versorgen sollen. Ohne Ausbildung reicht das Geld nicht fürs Leben.
 

Mit 16 zum ersten Mal schwanger

Durchschnittlich werden die Mädchen in dieser Region mit knapp 16 Jahren zum ersten Mal schwanger, meist durch ihre Freunde, manchmal auch Klassenkameraden. Deshalb sind Teenager-Schwangerschaften in gemischten Schulen besonders häufig. Auf Platz zwei der möglichen Väter liegen die sogenannten Boda-Boda-Fahrer. Motorradfahrer, die Passagiere mitnehmen dürfen und deshalb als öffentliche Verkehrsmittel zugelassen sind.
 
Boda-Bodas sind in Ostafrika recht beliebt, die Fahrten sind billiger als die mit Minibussen und das Zweirad kommt bei den schlechten Zuständen der Straßen überall hin. Der Name kommt von "border", dem englischen Wort für "Grenze". Denn die ersten Motorradtaxis waren zwischen Kenia und Uganda unterwegs, um Menschen, Waren und Schmuggelgüter über die Grenze zu transportieren.

 

Gratisfahrt 

Schulmädchen, deren Weg zum Unterricht oft kilometerlang ist, nutzen die Boda-Bodas, um rascher ans Ziel zu kommen. Doch den meisten Jugendlichen fehlt das Geld dafür. Für eine Gratisfahrt oder auch kleinere Geschenke wie eine Portion Pommes frites oder Pflegeprodukte bezahlen sie mit sexuellen Gefälligkeiten, meist ungeschützt. Kondome können sich die Menschen in der Region oft nicht leisten. Fast ein Viertel der Bewohner in Siaya County ist deshalb mit HIV infiziert.
Jedes Jahr verlassen in Kenia rund 10.000 Mädchen die Schule, weil sie schwanger werden. In einer unter Schülerinnen durchgeführte Umfrage berichteten sie, dass sie mit durchschnittlich 14 Jahren zum ersten Mal sexuell aktiv werden. Zwar gaben 78,9 Prozent an, dass der Geschlechtsverkehr freiwillig war. 72,7 Prozent berichteten allerdings, dafür Geld oder Geschenke bekommen zu haben.
 
Boda-Boda-Fahrer, die für eine Vielzahl der Teenager-Schwangerschaften verantwortlich sein sollen, sind ihre zum Teil strafbaren Handlungen egal, berichtete Dorothy Owiyo von Care Kenya. Mehr Angst als vor ungewollten Schwangerschaften haben die Motorrad-Fahrer vor Infektionskrankheiten wie HIV. Sie nutzen allerdings Kondome nur, wenn sie von Hilfsorganisationen wie etwa Care verteilt werden. Verhütungsschutz im Geschäft zu kaufen, ist für sie zu teuer oder mit Scham behaftet. Meistens verkaufen sie die zuvor verteilten Gratis-Kondome auch wieder, um damit eine zusätzliche Geldeinnahme zu lukrieren. Bei den Boda-Boda-Fahrern handelt es sich um mittellose Männer. Ihnen gehören die Motorräder nicht einmal, sie können sich deren Erwerb nicht leisten. Sie mieten das Gefährt und zahlen für die Nutzung.
 
Einen Boda-Boda-Fahrer für die Schwangerschaft verantwortlich zu machen, sei schwer, meinte Owiyo. "Sie decken sich gegenseitig und leugnen, etwas damit zu tun zu haben." Deshalb sei es umso wichtiger, die jugendlichen Mädchen im Vorfeld aufzuklären. "Ihre Mütter tun das nicht. Auch in der Schule gibt es keinen Aufklärungsunterricht. Und viele der Mädchen sind einfach zu naiv", sagte die Care-Mitarbeiterin. Es hält sich auch immer noch hartnäckig das Gerücht in der Bevölkerung, dass man unfruchtbar wird, wenn man einmal verhütet hat, sagte ihre Kollegin, Lilian Kong'ani.
 

Hilfe

Die betroffenen Familien werden mit Hilfe von Care Österreich in Zusammenarbeit mit Care Kenya sowie den lokalen NGOs "Kisumu Medical and Education Trust" (KMET) und "Family Health Options Kenya" (FHOK), die sich seit Jahren für Familiengesundheit einsetzen, unterstützt. Den jungen Mädchen wird gezeigt, wie sie und ihre Angehörigen sich um das Neugeborene kümmern können, ohne dass die Teenager-Mütter die Schule verlassen müssen und wie sie ihre Ausbildung weitermachen können. In das Projekt wurden insgesamt 1.163.807,97 Euro investiert. 68,74 Prozent stammen von der Europäischen Union, 21,48 Prozent von der Österreichischen Entwicklungsagentur ADA. Der Rest in Höhe von 9,78 Prozent sind Spendengelder von Care.
 
Einer der Schwerpunkte in dem Programm ist die ausgewogene Ernährung, in Siaya County keine Selbstverständlichkeit. Die Menschen in der Region, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, essen oft Protein in Form von Eiern und Fleisch, zudem stärkehältige Beilagen. Gemüsebeilagen oder gar Obst gibt es so gut wie nicht auf den Tellern. Zu jedem Essen wird Ugali zubereitet, ein festerer Brei aus Maismehl, der mit den Händen zu Kügelchen gerollt und so in die Fleischsoße getaucht wird. Damit kann eine mehrköpfige Familie kostengünstig ernährt werden. Ein Kilo Maismehl kostet nicht einmal einen Euro.
 
Wenn Fleisch oder Fisch auf den Teller kommt, wird der größte Teil dem Mann - dem Familienoberhaupt - überlassen, Frau und Kinder müssen sich mit dem Rest begnügen. Bei einem gekochten Huhn bedeutet das, dass für sie lediglich Nacken und Füße übrig bleiben - kein nahrhaftes Essen für Kinder im Wachstum und Frauen, vor allem wenn sie gerade schwanger sind.
 
Vor einigen Jahren haben sich für die gesunde Versorgung der Familie meist die Frauen zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Mit dem "Nawiri"-Programm von Care wurden nun auch die Männer ins Boot geholt und zu "Male Champions" ausbildet - männliche Vorkämpfer, die anderen Männern ihr Wissen weitergeben. Das gelang, indem sie in den "Busaa-Clubs" - sozusagen Wirtshäuser - angesprochen wurden. "Busaa" ist ein selbst gebrautes Maisbier, das die Männer - meist arbeitslos - tagsüber in den Lokalen tranken. Am Abend kamen sie betrunken heim zur Frau, Gewalt gegenüber ihren Partnerinnen stand an der Tagesordnung.
 

Schicksale

Das ist auch die Geschichte des 40-jährigen John. Seit 15 Jahren lebt er mit seiner Frau Emily zusammen. Über Freunde im "Busaa-Club" habe er von der Gruppe gehört, die Männern den Haushalt näher bringt. Und John hat sich alles beibringen lassen: kochen, waschen, putzen. Früher kam er spätabends heim und seine 33-jährige Frau war mit den drei Kindern und dem Haushalt allein. Nun teilen sie sich die Arbeit, kein leichtes Unterfangen in einem Land, wo Männer bei Hausarbeiten nie mitgeholfen haben. Dass sich Emily mit ihrem Mann an einen Tisch gesetzt und um mehr Hilfe gebeten hätte, wäre zuvor ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Nun hängt er die Socken auf und "liebt kochen", berichtete John im Gespräch. Ihre Beziehung hat sich völlig verändert. "Jetzt haben wir mehr Liebe im Haus", sagte er lächelnd.
 
Auch Fünffach-Mama Jacinta (41) hat nun mehr Hilfe von ihrem Mann. Da es ihr in der letzten Schwangerschaft so schlecht ging, wurde ihr und dem 45-jährigen Nicolas im Krankenhaus geraten, bei dem Programm mitzumachen. Angeregt von den Tipps durch das "Nawiri"-Projekt kaufte er Milch, Früchte und Fisch für seine Frau. Das war für den Boda-Boda-Fahrer kein leichtes Unterfangen, verdient er doch nur 200 bis 300 kenianische Schilling pro Monat - umgerechnet sind das 1,70 bis 2,60 Euro. Als das fünfte Kind des Paares vor einem Jahr auf die Welt kam, hatte es bei der Geburt ein viel höheres Gewicht als seine vier Geschwister. Nicolas griff Jacinta auch im Haushalt unter die Arme. "Unsere Beziehung hat sich verbessert und sie ist glücklich. Ich kann es nur jedem weiterempfehlen. Man lernt so viel", sagte der 45-Jährige.
 
Teenie-Mutter Renice hat ebenfalls von dem Programm profitiert. Ihre Eltern haben ihr ein kleines Feld überlassen, das sie nun bepflanzt, um mit dem Verkauf der Ernte ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Neben Kohl, wilden Tomaten, den heimischen Pflanzen Black Nightshade und afrikanischem Spinat wächst dort auch Piripiri Hoho, eine Art Chili-Schote. In der "Nawiri"-Gruppe konnte sie sich mit anderen jugendlichen Müttern austauschen. Nach all der Demütigung, so jung ein Kind bekommen zu haben, wurde sie hier "zum ersten Mal mit offenen Armen empfangen", sagte Renice.
 
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