Eine Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof hat die Polizei am Montag stundenlang in Atem gehalten und für ein Chaos auf den Bahnstrecken rund um die Millionenmetropole gesorgt. Die Sicherheitsbehörden schließen einen terroristischen Hintergrund nicht aus, ermitteln aber nach eigenen Angaben in alle Richtungen. Vier Menschen wurden verletzt - darunter der Geiselnehmer.
Dieser sei mit Gaskartuschen und Brandbeschleuniger bewaffnet gewesen, so die Ermittler. Es seien zudem mehrere blaue Campinggaskartuschen entdeckt worden, von denen einige mit Klebeband verbunden gewesen seien, sagte Rüschenschmidt weiter.
Molotowcocktail gezündet
Der bewaffnete Täter zündete nach Polizeiangaben am Mittag in einem Schnellrestaurant im Bahnhof zunächst einen Molotowcocktail, durch den ein 14-jähriges Mädchen verletzt wurde. Als durch den Brandsatz die Sprinkleranlage in dem Restaurant ausgelöst wurde, ergriff der Mann die Flucht und verschanzte sich in einer gegenüberliegenden Apotheke im selben Gebäude mit einer Frau als Geisel.
Nach zwei Stunden stürmte ein Spezialeinsatzkommando die Apotheke, verletzte den Geiselnehmer durch Schüsse schwer und befreite die Geisel, die leichte Verletzungen erlitt. Eine weitere Person im Schnellrestaurant erlitt einen Schock.
Täter offenbar IS-Sympathisant
"Im Zusammenhang mit dem Betreten der Apotheke soll er Passanten zufolge auch gerufen haben, dass er zur Terrorgruppe Daesh gehört", sagte Einsatzleiter Klaus Rüschenschmidt am Montagabend. Weitere Hinweise dazu gebe es aber nicht. "Daesh" ist der arabische Name für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Papiere des Syrers gefunden
Am Tatort wurden laut Kriminalpolizei Papiere eines 55 Jahre alten Syrers gefunden. Der Besitzer dieser Papiere habe eine Duldung bis Mitte 2021 erhalten. Der Geiselnehmer sei mit "hoher Wahrscheinlichkeit" der Passinhaber. Die Ermittler betonten aber auch, dass die Identität des Täters noch nicht eindeutig geklärt sei. Der Inhaber des gefundenen Dokumentes sei seit 2016 umfangreich wegen verschiedener Delikte wie Diebstahl und Bedrohungen bekannt.
Chaos auf Bahnstrecken
Der Polizeieinsatz rund um die Geiselnahme hatte für ein Chaos auf den Bahnstrecken rund um die Millionenmetropole gesorgt. Der Bahnhof wurde evakuiert und war auch Stunden nach der Geiselnahme gesperrt, Züge wurden weiträumig umgeleitet, einige endeten vorzeitig. Der Bahnverkehr rund um den zentralen Knotenpunkt Köln kam nahezu zum Erliegen. Hinzu kam, dass auch die Schnellstrecke nach Frankfurt nach einem ICE-Brand mehrere Tage gesperrt ist. Nach einer Schätzungen der Deutschen Bahn NRW waren Hunderte Züge von der stundenlangen Sperrung des Kölner Hauptbahnhofes betroffen.
Dieser gehört zu den meistfrequentierten in Deutschland. Der Schienenknotenpunkt liegt im Stadtzentrum direkt neben dem Kölner Dom. Täglich durchströmen ihn rund 1300 Züge, bis zu 280 000 Reisende kommen hier auf elf Gleisen an oder fahren ab.
Geiselnehmer hält Polizei und Reisende in Atem
Dramatische Stunden am Kölner Hauptbahnhof. Während rund um das Gebäude Hunderte Reisende ausharren, verschanzt sich in einer Apotheke im Bahnhof ein Geiselnehmer. Erst nach mehreren Stunden wird er überwältigt.
Die Situation am Kölner Hauptbahnhof ist aufs Äußerste angespannt. Niemand kommt mehr rein, die Polizei hat den Verkehrsknotenpunkt im Herzen der Millionenstadt abgesperrt. Dann plötzlich: Bewegung! Ein Knall. Und noch einer. Der "Zugriff" hat begonnen: Spezialkräfte der Polizei gehen gegen einen Mann vor, der in einer Apotheke im hinteren Bahnhofsbereich eine Frau in seine Gewalt gebracht hat. Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich bekannt ist: Die Polizei hält es für möglich, dass sie es mit einem islamistischen Terroristen zu tun hat.
Täter in Lebensgefahr
Kurz darauf ist die Situation "unter Kontrolle". Die Geisel ist leicht verletzt befreit, der Täter schwebt in Lebensgefahr, er muss reanimiert werden. Und das Knallen stammte von den Blendgranaten, die die Spezialkräfte gegen den Geiselnehmer eingesetzt haben.
Zu diesem Zeitpunkt wimmelt es in den sozialen Netzwerken, aber auch in den Medien bereits von Gerüchten: Der Täter soll zunächst in einem Schnellrestaurant ein 14 Jahre altes Mädchen mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet haben. Die Polizei mahnt: "Bitte warten Sie auf offizielle Informationen und verbreiten Sie keine Gerüchte und Spekulationen!"
Die Polizei ist um 12.42 Uhr alarmiert worden. Sie zieht ein riesiges Aufgebot zusammen und sperrt den Bahnhof ab, erst nur teilweise, dann ganz. Der Kölner Hauptbahnhof - direkt neben dem Dom - ist einer der wichtigsten Bahn-Knotenpunkte der Republik. Entsprechend groß ist jetzt das Chaos.
Augenzeugin berichtet
Die Flugbegleiterin Larissa da Silva Lima (25) erzählt, sie habe auf dem Platz vor dem Bahnhof gestanden, als sie plötzlich Schreie gehört habe: "mehrere Schreie, sehr hysterische Schreie". Sie habe sich umgedreht - und dann habe sie Flammen gesehen in einem Bahnhofsrestaurant.
Zunächst habe sie geglaubt, eine Fritteuse sei in Brand geraten. Plötzlich aber seien zwei Mädchen rausgerannt. Sie kamen ihr vor, als würden sie um ihr Leben rennen. Bei einem der Mädchen habe der Schuh gebrannt. Die Flammen hätten bis zur Hüfte geschlagen. "Dann kam auch schon ein Passant und hat versucht, dem Mädchen zu helfen." Irgendwann habe der Passant es geschafft, dem Mädchen den Schuh auszuziehen. "Das war unbeschreiblich, also das war schrecklich anzusehen."
Steht die Szene in einem Zusammenhang mit der Geiselnahme? Die Polizei will dazu erstmal nichts sagen. Auch nach der Beendigung der Geiselnahme hält sie sich mit Informationen zurück. Am Abend dann: Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Die stellvertretende Polizeipräsidentin Miriam Brauns erklärt, es gehe um mehr als eine Geiselnahme: "Auch einen Terroranschlag schließen wir dabei nicht aus."
So lief die Geiselnahme ab
Das Geschehen spielte sich demnach wie folgt ab: In einem Schnellrestaurant im Bahnhof zündet der Täter ein Molotow-Cocktail. Ein 14 Jahre altes Mädchen wird dadurch verletzt. Weil durch den Rauch die Sprinkleranlage ausgelöst wird, flüchtet der Täter in eine gegenüberliegende Apotheke und nimmt dort eine Frau als Geisel. Bald weiß die Polizei auch: Der Täter hat Brandbeschleuniger und Gaskartuschen bei sich. Er fordert freien Abzug und die Freilassung einer Tunesierin. Außerdem will er eine Tasche wiederhaben, die er im Schnellrestaurant zurückgelassen hat.
Um 14.50 Uhr stürmen Spezialkräfte die Apotheke. Der Täter bedroht die Geisel, versucht möglicherweise, sie anzuzünden. In der Hand hält er eine Schusswaffe - ob sie echt ist, weiß die Polizei zunächst nicht. Die Polizisten schießen auf ihn - der Mann sackt getroffen zusammen. Er wird reanimiert, ins Krankenhaus gebracht und dort notoperiert.
Syrer schon häufig kriminell geworden
Am Tatort findet die Polizei Papiere, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit" dem Täter gehören. Wenn dem so sein sollte, dann ist er ein 55 Jahre alter Syrer, der schon häufig kriminell geworden ist. Einmal hat er der Polizei einen Hinweis auf einen Islamisten gegeben.
Die Ermittlungen stünden noch ganz am Anfang, betont Einsatzleiter Klaus Rüschenschmidt. Dann ist die Pressekonferenz zuende. "Ein spannender Tag", sagt jemand. Vor allem war es wohl: ein schlimmer.