Der Gülen-Vertraute befindet sich auf der Flucht.
Als das türkische Militär 1980 putschte, gab es einen Befehlshaber, den jeder kannte: Kenan Evren, der später Staatspräsident und dem im hohen Alter der Prozess gemacht wurde. Der Coup vom 15. Juli 2016 soll dagegen von einem Kreis von überwiegend gesichtslosen Verschwörern ausgeheckt worden sein, die sich über Monate in einer Villa in Ankara trafen.
Die Verschwörer wählten sich ein Wort von Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk (Yurtta sulh – Frieden im Land) als Motto. Die Erklärung, die sie in der Putschnacht im Staatssender TRT verlesen ließen, erinnerte auch stark an die kemalistische Diktion der Dreißigerjahre. Auf den im Exil lebenden islamischen Prediger Fetullah Gülen oder den Koran deutete darin nichts hin, schrieb der Schweizer "Tagesanzeiger" am Samstag.
Hinweis aus Sicherheitskameras
Einen starken Hinweis dagegen lieferten Sicherheitskameras in der Akinci-Airbase bei Ankara. Sie hielten in der Putschnacht Bilder eines grauhaarigen, hektisch herumlaufenden Mannes fest, der dort - wie alle anderen Zivilisten - nichts zu suchen hatte: Adil Öksüz, ein Assistenzprofessor der Theologie.
Der 50-Jährige war zuvor, trotz bescheidenen Uni-Gehalts, mehrmals in New York, von dort ist es nicht weit nach Saylorsburg, wo Gülen lebt. "Was macht ein Theologe ohne akademischen Output so oft in den USA?", fragt eine Dokumentation türkischer Journalisten, die Gülen-Leute klar belastet. Öksüz soll eine Art Imam der Armee gewesen sein.
Großer Einfluss
Öksüz, ein gedrungener Mann mit Schnauzer und Halbglatze, hat in seiner Laufbahn als Akademiker an einer Provinzuniversität in Westanatolien außer seiner Doktorarbeit nichts publiziert. Sein Einfluss ist trotzdem groß. Öksüz gilt als Vertrauter Gülens. Videos zeigen die beiden beim gemeinsamen Gebet und auf Gülens Anwesen in Pennsylvania, USA.
Am 9. Juli 2016, sechs Tage vor dem Putsch, versammelte Öksüz in einer Villa im Nordwesten Ankaras eine Gruppe Männer: Zwei Generäle der türkischen Armee, einen Admiral und Zivilisten, berichtete "Spiegel Online".
Die Gruppe ging, so sagten Zeugen später gegenüber der türkischen Staatsanwaltschaft aus, die letzten Details eines Plans durch, den Öksüz ausgearbeitet hatte: Ein Team aus Elitesoldaten sollte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan festnehmen und auf ein Schiff im Mittelmeer bringen. Armeechef Hulusi Akar sollte überredet werden, den Aufstand anzuführen.
Putschversuch gescheitert
Der Putschversuch scheiterte unter anderem am fehlenden Rückhalt durch das Volk. Auch die Militärführung beteiligte sich nicht an der Revolte. Öksüz wurde nach seiner Festnahme von einem Untersuchungsrichter freigelassen - aus Gründen, die nach wie vor rätselhaft sind. Er befindet sich seither auf der Flucht.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim betonte in einer am Freitag über die türkische Botschaft in Wien verbreiteten Erklärung: In der Nacht des Putschversuchs sei die Türkei mit einem "kriminellen Netzwerk" konfrontiert gewesen, das die Anweisungen seines Anführers Gülen, die durch einen Theologieprofessor übermittelt worden seien, blind befolgt habe.
Gülen hingegen bestreitet vehement, hinter dem Putschversuch zu stehen und hat diesen auch wiederholt verurteilt. Allerdings ist der einstige enge Verbündete Erdogans mit dem heutigen türkischen Präsidenten seit 2013 zutiefst verfeindet.
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