Der Mann, der die OSZE-Geiseln befreite, spricht jetzt in ÖSTERREICH:
Europarats-Chef Thorbjörn Jagland fädelte gemeinsam mit dem russischen Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin die Freilassung der OSZE-Geiseln in der Ost-Ukraine ein. Von der Geiselbefreiung kam er direkt nach Wien. ÖSTERREICH sprach mit ihm:
ÖSTERREICH: Sie waren bei der Freilassung der OSZE-Geiseln in der Ostukraine dabei. Wie geht es den Männern?
THORBJÖRN JAGLAND: Sie wurden gut behandelt. Aber sie waren im Kampfgeschehen, mussten mehrere Nächte auf dem Boden schlafen, aber keiner klagte. Wichtig ist, dass wirklich alle Geiseln freikamen - auch die fünf ukrainischen.
ÖSTERREICH: Wie wurde die Freilassung erreicht?
JAGLAND: Es hat auf allen Ebenen große Anstrengungen gegeben. Letztlich habe ich mit Wladimir Lukin Kontakt aufgenommen, Russlands Menschenrechtsbeauftragten. Er ist ein Putin-Freund, hat beste Kontakte. Er schaltete sich als Privatmann ein, das brachte den Erfolg. Die Geiselnehmer verstanden seinen Einsatz wohl als klare Botschaft aus Moskau. Wir haben erst am Freitag mit der Vermittlung begonnen. Vorab verständigte ich den ukrainischen Außenminister, zudem auch den Generalsekretär der OSZE und Deutschlands Außenminister Frank Walter Steinmeier. Dann ging es los und es lief erfolgreich – es war eine gute Zusammenarbeit zwischen Wladimir Lukin und dem Vertreter der ukrainischen Regierung.
ÖSTERREICH: Jetzt startet in Wien die Ukraine-Konferenz. Was erwarten Sie?
JAGLAND: Nach heutigem Stand werden rund dreißig Außenminister anreisen. Deshalb wird es eine einzigartige Plattform sein, um die Situation in der Ukraine zu diskutieren. Im Europarat sind ja auch Nicht-EU-Mitglieder – Russland, Ukraine, Türkei. Hoffentlich entsteht ein Dialog über die aktuelle Lage in Europa. Es wird eine sehr wichtige Gelegenheit, dass die Parteien in Kontakt treten. Dass so viele Minister kommen, unterstreicht die Wichtigkeit. Ich kann Außenminister Kurz
nur loben. Der Vorsitz Österreichs im Europarat war einer der aktivsten und erfolgreichsten in den letzten Jahren.
ÖSTERREICH: Sie waren einige Male in der Ukraine, unter anderem mit dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz. Herrscht Bürgerkrieg?
JAGLAND: Ich denke nicht, dass wir das Wort „Krieg“ verwenden sollten – auch nicht „Bürgerkrieg“. Wir müssen versuchen, die Rhetorik zurückzufahren. Die Situation ist fragil, das ist wahr. Es ist schwer einzuschätzen, wo es in den nächsten Tagen und Wochen hingeht. Aber ich habe gehört, dass Außenminister Kerry seinen Amtskollegen Lawrow gestern angerufen hat. Er sagte, dass er die Freilassung der Geiseln als ersten Schritt einer Deeskalation ansieht. Hoffen wir, dass wir weitere solche Schritte tun können. Ich sage absichtlich, dass ich das hoffe, sicher ist nichts. Vielleicht kann ja eine gute Sache der anderen folgen.
ÖSTERREICH: Auf der Konferenz sollen auch Menschenrechte besprochen werden. Wie schlecht steht es um diese in den Mitgliedsländern des Europarates?
JAGLAND: Ich habe einen jährlichen Bericht, der in Wien diskutiert werden soll. Er legt dar, dass es eine klare Verschlechterung der Menschenrechtssituation in mehrfacher Hinsicht gibt. Erstens geht es um die unilaterale Annexion der Territorien anderer Mitgliedsstaaten. Aber auch, über das, was vor der Krise in der Ukraine passiert ist, die Rede ist systemische Korruption. Es gab keine unabhängige Justiz, keine völlige Pressefreiheit. Das ist eine Situation, die es auch anderswo in Europa gibt und zu neuen Krisen führen kann. Erschwert wird die Lage durch die wirtschaftliche Krise in Europa. Sie betrifft nicht nur soziale Rechte, sondern auch grundlegende Menschenrechte. Ich sage also, es gibt eine Verschlechterung in Europa.