ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl im Gespräch mit Timoschenkos Tochter Jewgenia.
Pulverfass Ukraine: Die Welt blickt voller Sorge auf das Land östlich von Polen. Am Freitag erschütterten vier Bombenanschläge die Nation. Es gab mindestens 29 Verletzte. Und das genau sechs Wochen vor dem Ankick der Fußball-EM. Das Drama hat ein Gesicht: Julia Timoschenko (51). Die Ex-Politikerin mit dem auffälligen Zopf ist die Ikone der Orangenen Revolution von 2004. Sie ist seit Oktober 2011 in der Straflagerkolonie 54 in Charkow interniert. Aus Protest ist sie in einen Hungerstreik getreten.
Die Regierung in Kiew beeindruckt das nicht, stattdessen treibt sie einen weiteren Prozess gegen sie voran – wegen Veruntreuung und Steuerhinterziehung. Am Samstag wurde eine Verhandlung verschoben. Timoschenko war zu schwach: Wegen ihres Hungerstreiks und wegen Verletzungen, die Gefängniswärter ihr zugefügt hatten.
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Timoschenkos Tochter Jewgenia (31) kämpft unaufhörlich für ihre Mutter: „Sie ist wirklich in Gefahr“, sagt sie im Interview mit ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl: „Meine Mutter wurde in einem Schauprozess verurteilt, um die Galionsfigur der Opposition zu vernichten“ (siehe unten).
Regime könnte die EM als PR-Aktion missbrauchen
Das Regime wird international gerügt. Am Samstag zeigte sich UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zutiefst besorgt. Die EU droht, Wirtschaftsabkommen auszusetzen. In Deutschland protestiert sogar die Kirche.
Mittlerweile ist auch eine Debatte über einen Boykott der EM ausgebrochen. Das Regime würde die Spiele als PR-Aktion nutzen. Timoschenkos Tochter ist dagegen: „Wir haben lange dafür gearbeitet, freuen uns sehr darauf.“
›Das ist ihr Kampf gegen das Regime‹
ÖSTERREICH: Wie geht es Ihrer Mutter?
Jewgenia Timoschenko: Sie ist in keinem guten Zustand. Meine Mutter leidet an schlimmsten Rückenschmerzen nach einem Bandscheibenvorfall. Dazu kamen jetzt Übergriffe durch einen Wärter und den Vize-Direktor des Gefängnisses. Sie wurde von beiden aus der Zelle hinausgezerrt, sollte gegen ihren Willen in einem ukrainischen Krankenhaus behandelt werden.
ÖSTERREICH: Aus Protest ist Ihre Mutter in den Hungerstreik getreten?
Timoschenko: Sie trinkt nur Wasser, lehnt jede Nahrung ab. Das ist ihr Kampf gegen ein Regime, das vor nichts zurückschreckt. Damit will sie den Westen auf ihre Lage aufmerksam machen.
ÖSTERREICH: Nun stehen deutsche Ärzte bereit, Ihre Mutter zu behandeln ...
Timoschenko: Dafür danken wir sehr. Wir brauchen aber eine umfassende Lösung. Am besten wäre es, meine Mutter würde in Berlin behandelt werden. Dem stimmt die Regierung aber nicht zu. Das Einzige, was im Parlament beschlossen wurde, war, dass ein Ombudsmann sich um die Misshandlungen meiner Mutter kümmert, das ist eine Frace.
ÖSTERREICH: Sie pendeln zwischen Brüssel, Straßburg, Berlin, Wien – kämpfen für Ihre Mutter. Was kann der Westen tun?
Timoschenko: Politische Hilfe, öffentlicher Druck, das würde helfen. Das ist ein Rachefeldzug von Präsident Janukowitsch, er will sie zerstören. Ich kämpfe aber um das Leben meiner Mutter, denn es geht ihr sehr schlecht, sie ist wirklich in Gefahr.
ÖSTERREICH: Erst am Freitag gingen vier Bomben in Ihrem Land hoch ...
Timoschenko: Die Anschläge sind eine Katastrophe und ein weiteres Zeichen dafür, dass vieles völlig falsch läuft in meiner Heimat. Bombenanschläge, jede Woche Attentate auf Geschäftsleute, überall Gewalt, das hat es noch nie gegeben seit der Orangen Revolution. Diese Vorfälle beschreiben auf ganz drastische Art, was derzeit in unserem Land passiert. Die Regierung hat nichts mehr unter Kontrolle.