Der dramatische Bericht von BILD-Reporter Paul Ronzheimer.
Izmir. Ronzheimer und Fotograf Robert King treffen ihren Schlepper in der türkischen Stadt Izmir:
„Nein“, flüsterte er mir zu, als wir uns kurz vor der Abfahrt in einem Billighotel treffen, „bei uns ist noch nie etwas passiert.“ Und: „Euer Boot wird nicht überladen sein, das machen wir nie, wir fahren kurz vor Tagesanbruch.“
Er hat von jedem 1.200 Euro bekommen – und uns alle belogen. Das wird schon klar, als wir um 1.00 Uhr an einem verlassenen Strand ankommen. Mit dem Bus sind wir hergefahren (75 Minuten), ein Bus voller Flüchtlinge, gestartet am Busbahnhof Izmir. Kontrollen? Keine.
Der Schmuggler, der aus Syrien kommt, aber dessen Chef ein Türke ist, hatte uns vorher gesagt: „Natürlich könnte uns die türkische Polizei aufhalten, aber sie tut es nicht.“
Am Strand, wo sonst viele Touristen Urlaub machen, sollen wir uns hinter Büschen verstecken, keine Handys benutzen. Familien sind hier, kleine Kinder und ein Mann, der nur ein Bein hat.
Schmuggler: »Da können doch noch Kinder sitzen«
Blanke Angst. Das Schlauchboot haben sie schon aufgepumpt. Die Flüchtlinge stürmen drauf zu, ziehen ihre Schwimmwesten an. Jeder will der Erste sein, den sichersten Platz ergattern. Nur: Es gibt keine sicheren Plätze. Als über 30 Personen im Boot sind, ist es voll. Der Schmuggler: „Rückt zusammen! Macht Platz. Da können noch Kinder sitzen!“
Stockdunkel
Zusammengepfercht sitzen wir. 58 Menschen, ich kann meine Füße nicht mehr bewegen, irgendjemand sitzt darauf. Es ist stockdunkel, nur ein bisschen Mondschein, kein Licht aus Angst vor der türkischen Küstenwache.
Unser „Kapitän“ ist selbst Flüchtling, aus Syrien. Wir erfahren später, dass er das erste Mal ein Boot lenkt. Er fährt Schlangenlinien, dann raus aufs offene Meer. Das Wasser spritzt ins Boot, meine Füße sind schon nach fünf Minuten nass.
Grimassen
Vor mir sitzt Hussein, 5. Ich versuche, ihn zu beruhigen, schneide Grimassen. Hussein lacht kurz, aber als ihn eine volle Ladung Wasser ins Gesicht trifft, ergreift auch ihn die Panik.
Jetzt brüllen die Flüchtlinge den Kapitän an. Aber er weiß selbst nicht, wo wir sind. Er hat kein GPS. Wahrscheinlich kannte er von Anfang an den Weg nicht. Die griechische Insel Lesbos ist rund 18 Seemeilen entfernt. Einfacher wäre es von einer anderen Bucht, dort sind es nur fünf Seemeilen, aber mehr Kontrollen durch die Küstenwache.
Wir erreichen den Strand. Aber: Er liegt in der Türkei.
VIDEO: Flüchtlingssterben im Mittelmeer (Stand August 05)