Flüchtlingstragödie
Trauer und Forderungen nach Umdenken
04.10.2013Einwohner Lampedusas beteiligten sich am Fackelzug
Nach dem schweren Schiffsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa haben Menschenrechtsorganisationen die EU-Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. "Durch Grenzschließungen werden die Wege der Flüchtlinge gefährlicher gemacht, als sie schon sind", sagte ein Sprecher von Amnesty International am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. Menschen würden auf unsichere See- und Landwege getrieben. Die EU müsse reagieren und Investitionen in Rettungsmaßnahmen erhöhen. Bei dem Unglück am Donnerstag waren mehr als Hundert Menschen ums Leben gekommen.
Auch Human Rights Watch kritisierte die Grenzabdichtung der EU. Die Verantwortung für Flüchtlinge müsse unter den Mitgliedsländern besser aufgeteilt werden: "Nicht nur Außenstaaten sollten mit den Asylsuchenden konfrontiert sein", sagte ein Sprecher. Auch Rettungsaktionen auf See müssten besser koordiniert werden. So sollten etwa Fischerboote angehalten werden, in Seenot geratenen Menschen zu helfen. Die Wohlfahrtsorganisation Caritas forderte allgemein mehr Großzügigkeit von der EU: "Den Menschen muss schnell Sicherheit darüber gegeben werden, wie es für sie weitergeht", sagte eine Sprecherin. Italien brauche dafür die Unterstützung der EU.
Insbesondere für Italien sind Probleme mit Flüchtlingsströmen nicht neu. Dorthin kamen 2008 etwa 45 Prozent der Bootsflüchtlinge, die von der Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) registriert wurden. Insgesamt kamen nach Angaben der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr in Europa 17 Prozent aller Flüchtlinge unter. "Zu wenig", findet Amnesty International. "In Europa gibt es mehr Kapazitäten, Menschen aufzunehmen", sagte der Sprecher. Alle Staaten stünden in der Verantwortung, um das möglich zu machen. "Auch Deutschland darf nicht zusehen, wie Flüchtlinge sterben."
Mahnwache für Opfer vor dem Ministerium
Zahlreiche österreichische Hilfsorganisationen haben am Freitag spontan zu einer Mahnwache für die Opfer der Flüchtlingstragödie von Lampedusa vor dem Innenministerium in Wien aufgerufen. Ab 18.00 Uhr soll den hunderten Toten gedacht werden, die Mittwochfrüh beim Sinken eines Flüchtlingsbootes vor der italienischen Küste ums Leben kamen. Man dürfe angesichts der Tragödie nicht länger zusehen und eine "Festung Europa" errichten. "Wir sollten Brücken bauen, keine Stacheldrahtzäune", hieß es vonseiten der Organisatoren gegenüber der APA.
Die nun von politischer Seite ausgedrückte Betroffenheit, sei zwar gut, sagte Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner, dennoch brauche man endlich EU-weite Reglungen. Die EU und die Mitgliedsstaaten dürften sich "den Ball nicht weiter hin und her spielen", nun seien "alle aufgerufen, gemeinsam eine Lösung zu suchen, damit das sinnlose Sterben ein Ende hat."
Die Politik dürfte die Staaten an der EU-Außengrenze nicht länger alleine lassen. Denn "im Vereinten Europa grenzt Lampedusa auch an unser Land", so Schwertner in Anspielung auf die Dublin II-Verordnung, die festschreibt, dass jenes Land für die Asylsuchenden zuständig ist, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten.
In die Pflicht nimmt Schwertner dabei auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (EZA), deren Mittel seit Jahren immer weiter gekürzt werden: "Wenn man die EZA Vorort kürzt, darf man sich nicht wundern, dass Menschen flüchten, die ein besseres Leben suchen."
Letta würdigt Einsatz des Papstes für Migranten
Der italienische Premier Enrico Letta hat dem Papst Franziskus für seine Solidaritätsappelle zugunsten von Migranten nach der Flüchtlingstragödie von Lampedusa gedankt. Letta versicherte dem Pontifex, dass seine Regierung alles unternehmen werde, damit es auf nationaler und internationaler Ebene zu Lösungen für das Problem der Schlepperei komme.
Der italienische Präsident Giorgio Napolitano lobte den Rettungseinsatz für die Überlebenden des Schiffsunglücks und drängte die Regierung Letta und die EU ihre Flüchtlings- und Asylpolitik umfassend zu überdenken. Man dürfe keine Zeit mehr verlieren. Man müsse alles unternehmen, um weitere Flüchtlingstragödien zu vermeiden.
Nach der Flüchtlingskatastrophe hat Italien am Freitag um die hunderten Todesopfer getrauert. Landesweit wurden die Flaggen am Freitag auf Halbmast gesetzt und in den Schulen eine Schweigeminute abgehalten. Die Rettungskräfte setzten die Suche nach den rund 200 Vermissten fort. Hoffnung, Überlebende zu finden, hatten sie jedoch kaum noch. Bisher wurden 111 Leichen geborgen.