100 Tage vor der Wahl

Trump steckt in seiner schwersten Krise

24.07.2020

Corona-Pandemie und drohende Rezession, landesweite Proteste und verpatzter Neustart des Wahlkampfs 

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© AFP
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US-Präsident Donald Trump mangelt es nicht an Selbstbewusstsein, daran haben die vergangenen Jahre keinen Zweifel gelassen. Dass es im Wahlkampf nicht rund läuft für ihn, ändert nichts daran.
 
"Ich habe in den ersten dreieinhalb Jahren mehr als jeder andere Präsident in der Geschichte getan", sagte Trump kürzlich dem Sender Fox News. Und mit Blick auf den 3. November fügte er hinzu: "Ich denke überhaupt nicht, dass ich verlieren werde." Hundert Tage vor der US-Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag sind weitere vier Jahre Trump dennoch alles andere als gewiss. Der 74-Jährige befindet sich inmitten der schwersten Krise seiner Amtszeit.
 

SCHLINGERKURS IM KAMPF GEGEN CORONA

 
Das Coronavirus hat nicht nur den Wahlkampf ausgebremst. Die Pandemie hat die USA in einer Härte getroffen, die undenkbar schien - und sie hat Trumps Chancen geschmälert. In einer Mitte des Monats veröffentlichten Umfrage der "Washington Post" und des Senders ABC kritisierten 60 Prozent der Amerikaner Trumps Krisenmanagement, im März hatte es eine knappe Mehrheit noch gutgeheißen.
 
Die Entwicklung dürfte auch Trumps Schlingerkurs geschuldet sein: Immer wieder redete er die Gefahr klein. Zwar verkündete Trump Richtlinien, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Bald danach drängte er US-Staaten aber, Schutzmaßnahmen wieder zurückzufahren. Kürzlich stellte er die Amerikaner dann darauf ein, dass die Lage erst schlechter wird, bevor Besserung eintritt. Inzwischen hat die Pandemie mehr als 140.000 Amerikaner das Leben gekostet.
 

RASSISMUS? RECHT UND ORDNUNG!

 
Mitten in der Krise wurde dann Ende Mai der Afroamerikaner George Floyd getötet, im ganzen Land kam es zu Protesten. Trump verurteilte Floyds Tod zwar, die zugrunde liegenden Ursachen - Polizeigewalt und Rassismus - ging er aber nicht wirklich an. Stattdessen nutzt er die Proteste dazu, sich als "Präsident für Recht und Ordnung" darzustellen. In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage des Senders Fox News gab ihm eine Mehrheit (56 Prozent) schlechte Noten für seinen Umgang mit dem Thema Rassismus.
 
Nach derselben Umfrage sind das Coronavirus, die wirtschaftliche Lage sowie Rassismus und Polizeigewalt die drei wichtigsten Themen, die die Amerikaner derzeit bewegen. Was den Republikaner Trump besonders schmerzen dürfte: Nicht nur beim Coronavirus und beim Thema Rassismus trauen die Befragten seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden (77) zu, einen besseren Job zu machen - sogar bei der Wirtschaft liegt der Ex-Vizepräsident von Barack Obama inzwischen vor Trump, wenn auch nur knapp.
 

MILLIONEN AMERIKANER VERLIEREN IHREN JOB - TRUMP AUCH?

 
Die ökonomische Lage war bis zum Frühjahr das wichtigste Argument, das Trump für seine Wiederwahl ins Feld führen konnte. Die Wirtschaft brummte, die Aktienindizes - die bei vielen Amerikanern auch Auswirkungen auf die Pension haben - jagten von einem Rekord zum nächsten. Noch im März lag die Arbeitslosenquote bei 3,5 Prozent, der niedrigste Wert seit einem halben Jahrhundert. Dann machte die Pandemie Millionen Amerikaner arbeitslos. Experten rechnen für 2020 mit einer Rezession und befürchten, dass die Arbeitslosenquote auch Ende des Jahres noch bei knapp zehn Prozent liegen könnte.
 
Trump betont immer wieder, dass die Wirtschaft sich erholen werde. Ob sich diese Hoffnung rechtzeitig erfüllt, ist offen. Mehrere US-Staaten verschärfen die Schutzmaßnahmen angesichts der explodierenden Zahl von Corona-Neuansteckungen derzeit wieder. Die Umfrage von Fox News zeigt, wie sich Trumps Aussichten verschlechtert haben: Nur noch 45 Prozent rechnen mit seiner Wiederwahl. Im Februar, vor der Zuspitzung der Corona-Krise, waren es noch 56 Prozent. In landesweiten Umfragen liegt Biden - den Trump als "schläfrigen Joe" verspottet - seit Wochen klar vor dem Amtsinhaber. Und das, obwohl Biden nur selten in der Öffentlichkeit auftritt.
 

PRÄSIDENT HOFFT AUF "SCHWEIGENDE MEHRHEIT"

 
Allerdings haben landesweite Umfragen wegen des komplizierten Wahlsystems in den USA begrenzte Aussagekraft. Erst recht gilt das angesichts der Tatsache, dass bis November noch viel passieren kann. Trump selber tut die Befragungen als "Fake" ab und verweist darauf, dass er auch 2016 hinter seiner damaligen Kontrahentin Hillary Clinton lag - und dann doch gewann.
 
Trump baut auf eine "schweigende Mehrheit", die für ihn sei, aber in Umfragen nicht auftaucht. Dass er weiterhin eine bedeutende Zahl an Unterstützern hat, steht außer Frage. Sie rechnen ihm zum Beispiel an, dass er mit seiner "America First"-Politik China in die Schranken gewiesen und NATO-Verbündete zu einer faireren Lastenverteilung im Bündnis gezwungen hat. Trump ist es außerdem gelungen, die Zahl der illegalen Grenzübertritte aus Mexiko drastisch zu reduzieren. Der Bau einer Mauer an der Südgrenze geht voran, auch wenn dafür nicht - wie von Trump versprochen - Mexiko, sondern der US-Steuerzahler aufkommt.
 
Zuletzt fiel der Zuspruch seiner Anhänger aber geringer aus, als von Trump erwartet. Seine erste und bisher einzige Großkundgebung seit Beginn der Coronakrise in Tulsa (Oklahoma) im vergangenen Monat war ein Flop: Nach Angaben der Feuerwehr waren nur 6.200 Besucher in der Halle, die 19.200 Menschen fasst. Trump - der bei Großveranstaltungen ganz in seinem Element ist - hatte davor mitgeteilt, dass sich fast eine Million Menschen um Tickets beworben hätten. Eine schmerzliche Niederlage für den Präsidenten, der von sich behauptet, jede Arena füllen zu können.
 

TRUMP VERSPOTTET BIDEN

 
Der Republikaner tauschte nach dem Debakel seinen Wahlkampfchef aus - das bisher deutlichste Zeichen dafür, dass auch Trump Probleme sieht. Was nicht nur bei der Kundgebung deutlich wurde: Trump fehlt eine Vision, was er nach einem Wahlsieg erreichen will. Das konservative "Wall Street Journal" schrieb nach Tulsa, bisher habe der Präsident keine Agenda für eine zweite Amtszeit - oder auch nur eine Botschaft, die über weitere vier Jahre Trump hinausgehe.
 
Inhaltlich setzt Trump Biden im Wahlkampf wenig Fakten entgegen. Der Präsident spielt stattdessen mit der Angst vieler Amerikaner und stellt seinen Herausforderer als Marionette radikaler Linker dar. Trump - der sich selber einst als "sehr stabiles Genie" bezeichnet hat - zieht außerdem in Zweifel, ob der Ex-Vizepräsident in der Lage wäre, die USA zu regieren. "Biden kann keine zwei zusammenhängenden Sätze sagen", meinte Trump kürzlich. "Ich würde sagen, er ist nicht fähig dazu, Präsident zu sein." Das sehen viele Amerikaner anders: In der Fox-News-Umfrage halten 51 Prozent Biden für intelligent genug für die Präsidentschaft. Bei Trump sind es 42 Prozent.
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