Nach Putschversuch
Kurz erhebt schwere Vorwürfe gegen Erdogan
18.07.2016
Der Außenminister glaubt, dass die Namen der zu verhaftenden Personen bereits vor dem Putsch existiert haben.
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei und dem Vorgehen der Regierung Ankaras gegen Richter seine Forderung nach Einhaltung des Rechtsstaates bekräftigt. "Wer den demokratischen Rechtsstaat nicht achtet und die Todesstrafe einführen möchte, hat definitiv keinen Platz in der EU".
Kurz erklärte nach dem EU-Außenministerrat am Montag in Brüssel, es habe die einheitliche Meinung gegeben, dass zwar einerseits der versuchte Militärputsch zu verurteilen sei, "aber auf der anderen Seite wurde auch eingefordert, dass wirklich alle Kräfte in der Türkei sich zu Rechtsstaat, Demokratie und Grundwerten bekennen müssen".
Kurz: Listen lagen schon vor Putschversuch auf
Auf die Frage, ob es für ihn schon eindeutig sei, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Demokratie und Rechtsstaatlichkeit missachtet habe, sagte Kurz, "wenn ich mir die Reaktion nach dem Putschversuch anschaue, habe ich eine sehr klare Meinung dazu. Es sind tausende Menschen verhaftet worden, nicht nur Beteiligte am Putsch, die dem Militär angehören, sondern auch viele Richter, viele Menschen aus der Verwaltung. Und ich glaube, diese Listen, wer da nicht genehm ist, sind schon vorher vorgelegen. Weil anders wäre mir nicht erklärbar, wie Verhaftungen so schnell stattfinden können".
Ob die Türkei noch ein Partner für die EU sein könne? - Der Außenminister meinte, die EU könne sich ihre Nachbarschaft nicht aussuchen. "Aber man muss schon sehr klar für die eigenen Grundwerte eintreten, auch wenn man mit anderen Staaten zusammenarbeitet". Es könne nicht sein, "wegzusehen und Negativentwicklungen einfach zur Kenntnis" zu nehmen. "Dann werden wir am Ende die Leidtragenden sein. Weil die Missachtung von Grundwerten, auch das Abkommen vom Weg des Rechtsstaats, führt am Ende meist zu Destabilisierung und da sind wir die Leidtragenden."
Flüchtlingsdeal steht noch
Zum Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei sagte Kurz, das Übereinkommen existiere. "Ich kann nur sagen, umso länger der Deal hält, umso besser ist es. Ich hoffe, dass er sehr lange halten wird". Das bedeute aber nicht, "dass wir unsere Grundwerte aufgeben" und bei Fehlentwicklungen wegsehen. Kurz fügte hinzu, dass "der Hauptgrund für den Rückgang des Flüchtlingsstroms ja eigentlich die Westbalkan-Schließung" war. Er habe immer schon gesagt, dass Kooperationen Sinn machten, "aber wir dürfen uns nicht in Abhängigkeit begeben. Der Außengrenzschutz ist etwas, das Europa selbst schaffen muss. Das können wir nicht an andere delegieren".
Auf die umstrittenen Türkei-Demonstrationen in Wien vom Wochenende angesprochen sagte Kurz, "ich habe absolut kein Verständnis". Wenn jemand in Österreich lebe, solle er dem neuen Heimatland gegenüber loyal sein und auch Respekt vor dem Zusammenleben haben. "Natürlich gibt es die Möglichkeit zum Demonstrieren. Aber die Demonstrationen müssen angemeldet sein und in rechtlichem Rahmen stattfinden". Befragt, ob das Nichteingreifen der Sicherheitskräfte gegen diese unangemeldete Demonstration ein Freibrief für weitere türkische Demonstrationen in Wien sein könnte, meinte Kurz, er sei nicht der Sprecher des Innenministers. "Aber ich kenne ihn und weiß, er hat eine sehr klare Meinung zu nicht angemeldeten Demonstrationen".