Mehrere Polizisten müssen sich wegen Mordes vor Gericht verantworten.
In der Türkei hat ein Mordprozess gegen mehrere Polizisten wegen des Todes eines Demonstranten bei den Gezi-Protesten im vergangenen Jahr begonnen. In dem Verfahren im zentralanatolischen Kayseri wirft die Anklage vier Polizisten und vier Zivilisten vor, den 19-jährigen Studenten Ali Ismail Korkmaz zu Tode geprügelt zu haben. Den Hauptbeschuldigten drohen lebenslange Haftstrafen.
Der Prozessauftakt wurde von einem Großaufgebot der Polizei begleitet. Der Student Korkmaz hatte am 2. Juni 2013 in der westtürkischen Universitätsstadt Eskisehir an einer Kundgebung zur Unterstützung der Gezi-Proteste teilgenommen. Ausgelöst wurden die Demonstrationen durch das brutale Vorgehen der Polizei gegen eine Aktion von Umweltschützern im Istanbuler Gezi-Park. Die Proteste weiteten sich zu einer landesweiten Welle aus, in deren Verlauf sechs Menschen starben und mehrere tausend verletzt wurden. Kritiker im In- und Ausland warfen der türkischen Polizei übertriebene Härte vor.
Student wurde von mehreren Polizisten niedergeknüppelt
In Eskisehir war Korkmaz nach einem Polizeieinsatz gegen die Demonstration von mehreren Männern mit Knüppeln brutal zusammengeschlagen worden, wie Aufnahmen von Überwachungskameras zeigen. "Da haben wir aber gut Stress abgebaut", sagten die Polizisten laut Zeugenaussagen nach den Schlägen, wie aus der am Montag verlesenen Anklageschrift hervorgeht. Nach 38 Tagen im Koma erlag Korkmaz seinen Verletzungen.
Im Gerichtssaal hielt die Mutter von Ali Ismail Korkmaz, Emel Korkmaz, am Montag ein gerahmtes Foto ihres Sohnes in die Höhe und rief den Angeklagten zu, sie sollten ihr in die Augen sehen. "Wie konntet ihr nur meinen Ali töten?" fragte sie die Angeklagten. Vorübergehend brach im Sitzungssaal ein Tumult aus, weil angeblich bewaffnete Besucher im Saal Platz genommen hatten. Die Behörden dementierten dies später.
2.000 Polizisten um Proteste bei Prozess zu verhindern
Der Prozess war aus Eskisehir nach Kayseri verlegt worden, um Proteste gegen das Verfahren und die Angeklagten auszuschließen. Am Montag waren in Kayseri rund 2.000 Polizisten im Einsatz, um Kundgebungen zu verhindern. Bei Kontrollen auf den Zufahrtstraßen wurden Busse mit Demonstranten gestoppt. In einigem Abstand zum Gebäude versammelten sich trotzdem mehrere hundert Menschen zu einer Kundgebung.
Oppositionspolitiker, die zur Beobachtung des Verfahrens nach Kayseri gekommen waren, kritisierten die Verlegung des Prozesses nach Zentralanatolien als Versuch der Behörden, "die Mörder zu schützen". Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte im Zuge der Gezi-Unruhen das Vorgehen der Polizei mehrfach ausdrücklich gelobt.
Im bisher einzigen anderen Prozess wegen des Todes eines Gezi-Demonstranten steht in Ankara ein Beamter vor Gericht, der den 27-jährigen Schweißer Ethem Sarisülük bei einer Straßenschlacht in der Hauptstadt erschossen haben soll. In Kürze soll ein erstes Verfahren gegen 255 Gezi-Demonstranten beginnen, denen wegen der Teilnahme an den Protesten Landfriedensbruch, zum Teil aber auch Terrordelikte vorgeworfen werden. Insgesamt sollen mehrere tausend Demonstranten vor Gericht gestellt werden.