Russlands Armee ist in der Defensive

Analyse: Putin überlebt keine Niederlage

08.10.2022

Wendepunkt: Das passiert, wenn Kremlchef Putin in der Ukraine tatsächlich verliert.

Zur Vollversion des Artikels
© APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV
Zur Vollversion des Artikels

Ukraine. Putins Truppen stehen in der Ukraine längst auf verlorenem Posten. Täglich werden im Osten des Landes neue Städte und Ortschaften rückerobert, Tausende russische Soldaten fliehen in Scharen vom Schlachtfeld, lassen alles zurück. Die Moral der Truppe ist gebrochen, dafür sorgen auch dramatische Bilder wie jene aus der befreiten Stadt Lyman: Dutzende getötete russische Soldaten lagen am Straßenrand, niemand holte sie ab, brachte sie zurück in die Heimat. Einfach verrottet an der Front.

Diese Bilder brennen sich in die Seele, auch in Russland. Niemand will als Kanonenfutter verheizt werden.

»Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin«

Fahnenflucht. Parallel dazu steigt der Druck auf Putin daheim. Eigentlich wollte er seinen 70. Geburtstag vergangenen Freitag mit einem Triumph über die Ukraine feiern. Daraus wurde nichts: Sein Regime ist destabilisiert, Hunderttausende junger Männer verlassen flucht­artig das Land, „die Teil­mobilmachung war ein Akt reiner Verzweiflung“, ortet Kremlkritiker Garri Kasparow, Ex-Schachweltmeister, völligen Macht­verlust: „Putin kann die Niederlage in der Ukraine nicht überleben“, sagt er. Der Mythos von grenzen­losem Rückhalt für seine Kriegshetze in der Bevölkerung sei vom Tisch.

Selbst bei der großen Siegesparade in Moskau, als die An­nexion von vier Regionen in der Ostukraine gefeiert wurde, klatschten nur noch jene, die herangekarrt wurden.

Kein Land besteht nur aus Helden, auch Russland nicht. Krieg und Tod sind jetzt in den Familien in Russland angekommen.

»Verliert Putin, verliert er Macht und Leben«

Gegner. Bloß Verrückte, wie der tschetschenische Machthaber Kadyrow, der selbst seine minderjährigen Söhne an die Front in der Ukraine schickt, glauben noch an den Sieg. Die jetzt mobilisierten Re­servisten sind Putins letzte (konventionelle) Karte, sie müssten rasch einsatzbereit sein. Viele Front­abschnitte leiden unter eklatantem Personalmangel. Sowohl die Frontlinien östlich der Stadt Charkiw oder bei Cherson im Süden bröckeln. Alle Eroberungen könnten verloren gehen.

Dann stünden die ukrainischen Truppen vor der Krim: „Wenn Putin verliert“, behauptet auch Michael Chodorkowski, Ex-Oli­garch und Putin-Feind, „verliert er nicht nur seine Macht, sondern auch sein Leben.“

Zur Vollversion des Artikels