''Die Ortschaften Tscherkassy Tyschky, Rusky Tyschky, Rubischne und Bayrak wurden befreit'', erklärte der ukrainische Generalstab auf Facebook.
Kiew (Kyjiw)/Moskau. Die ukrainischen Streitkräfte haben Geländegewinne rund um die zweitgrößte Stadt Charkiw im Osten des Landes vermeldet. "Die Besatzer werden nach und nach aus Charkiw zurückgedrängt", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht auf Mittwoch in einer Videobotschaft. Unterdessen rückten russische Truppen im Donbass weiter vor. Auf der Schlangeninsel im Schwarzen Meer dauern die Kämpfe indes weitere an. In der Hafenstadt Mariupol gab es weitere russische Angriffe.
"Die Ortschaften Tscherkassy Tyschky, Rusky Tyschky, Rubischne und Bayrak wurden befreit", erklärte der ukrainische Generalstab auf Facebook. Während die russischen Streitkräfte dadurch die Stadt Charkiw "noch weniger" mit Artillerieangriffen treffen könnten, habe die "Intensität der Bombardierungen im Bezirk Charkiw zugenommen". Die russischen Truppen hinterlassen nach Angaben der ukrainischen Regionalverwaltung zudem "Todesfallen" - Minen.
Leichen von 44 Zivilisten gefunden
Durch Charkiw zieht sich nach Angaben der Regionalverwaltung eine Spur der Verwüstung. Unter den Trümmern eines zerstörten Hauses in der unter russischen Kontrolle befindlichen Stadt Isjum wurden demnach die Leichen von 44 Zivilisten gefunden. Die russischen Truppen hinterließen nach ihren Rückzügen zudem "Todesfallen", also Minen, hieß es weiter.
Die nördlichen und nordöstlichen Stadtteile von Charkiw waren in den vergangenen Wochen häufig das Ziel russischer Raketenangriffe. Die russischen Truppen rückten zudem bis auf wenige Kilometer an die Stadt heran. Das US-Institut für Kriegsforschung (ISW) erklärte jedoch am Wochenende, dass die ukrainische Armee in diesem Teil des Landes "bedeutende Fortschritte macht und wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder Wochen bis zur russischen Grenze vorrücken wird".
Kontrolle über verlorene Gebiete übernommen
Während die Ukrainer im Nordosten wieder die Kontrolle über verlorene Gebiete übernehmen, rücken die Russen etwa 150 Kilometer südöstlich im Donbass Stück für Stück vor. Das ukrainische Südkommando meldete "gnadenlose" Angriffe der russischen Streitkräfte auf Privathäuser, landwirtschaftliche Einrichtungen und die Stromversorgung. Der stellvertretende Bürgermeister der mittlerweile fast vollständig zerstörten Hafenstadt Mariupol, Petro Andryuschtschenko, berichtete indessen, dass die letzten ukrainischen Streitkräfte im Asowstal-Werk weiterhin "dutzenden" Angriffen ausgesetzt seinen.
Sollte das Stahlwerk fallen, hätten die Russen die strategisch wichtige Hafenstadt gänzlich eingenommen, was für Moskau ein wichtiger militärischer Erfolg wäre. Bisher steht mit Cherson lediglich eine bedeutende ukrainische Stadt völlig unter russischer Kontrolle.
Pro-russische Behörde will Anschluss an Russland
Die von Moskau in der Region Cherson eingesetzten Behörden kündigten am Mittwoch an, Russland um eine Annexion des Gebiets zu bitten. Die Region solle ein "vollwertiger Teil der Russischen Föderation" werden, sagte der stellvertretende Leiter der Militär-und Zivilverwaltung von Cherson, Kirill Stremussow. Im Kreml wurde diese Initiative der unteren Funktionärsebene zurückhaltend aufgenommen.
Unterdessen gehen die Kämpfe auf der strategisch wichtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer weiter. Ukrainische Drohnenangriffe verhindern Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes zufolge bisher eine Dominanz russischer Truppen. Russland versuche immer wieder, seine Kräfte auf Insel nahe der Hafenstadt Odessa zu verstärken, berichtete das Verteidigungsministerium in London am Mittwoch unter Berufung auf Geheimdienste. Die russischen Versorgungsschiffe hätten seit dem Untergang des Lenkwaffenkreuzers "Moskwa" und dem Rückzug der Marine zur annektierten Halbinsel Krim aber nur wenig Schutz. Falls es Russland allerdings gelinge, seine Position mit strategischer Luftverteidigung und Marschflugkörpern zur Küstenverteidigung zu festigen, könnte es das nordwestliche Schwarze Meer beherrschen.
Verlagerung des Kampfgeschehens
Die Verlagerung des Kampfgeschehens auf den Donbass dürfte nach Einschätzung der US-Geheimdienste nur "vorübergehend" sein. Russlands Präsident Wladimir Putin bereite sich auf einen längeren Konflikt in der Ukraine vor, in dessen Verlauf er "immer noch beabsichtigt, Ziele zu erreichen, die über den Donbass hinausgehen", sagte US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines am Dienstag. Putin ist demnach entschlossen, eine Landverbindung über den Süden der Ukraine bis nach Transnistrien in der Republik Moldau herzustellen.
Die Kämpfe in der Ostukraine wirken sich inzwischen auch auf den russischen Gastransit nach Europa aus. Russland habe die Gaslieferungen über die wichtige Route Sochraniwka in der Region Luhansk eingestellt, teilte der ukrainische Gasnetzbetreiber GTSOU am Mittwoch mit. Russland habe für den Transit bestimmtes Gas in die pro-russischen ukrainischen Separatistengebiete umgeleitet.