Der russische Außenminister sieht eine neue Phase des westlichen Krieges gegen Russland gegeben.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat eine "entsprechende" Antwort auf den von Moskau gemeldeten ukrainischen Beschuss auf russisches Gebiet mit ATACMS-Raketen angekündigt. "Wenn Raketen größerer Reichweite von der Ukraine aus in Richtung russisches Territorium eingesetzt werden, bedeutet dies, dass sie von US-Militärexperten bedient werden", sagte Lawrow. Zuvor hatte Kiew eine Militäreinrichtung in der Grenzregion Brjansk mit sechs ballistischen Raketen attackiert.
Eine dementsprechende Erklärung des Verteidigungsministeriums in Moskau wurde von mehreren staatlichen russischen Nachrichtenagenturen veröffentlicht. Lawrow fügte am Dienstag nach dem G20-Gipfel vor Journalisten in Rio de Janeiro hinzu: "Wir werden dies als eine neue Phase des westlichen Krieges gegen Russland betrachten und entsprechend reagieren."
Keine Opfer und Schäden durch Attacke
Wie russische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf das Verteidigungsministerium weiter berichteten, wurden fünf der Raketen abgefangen und eine beschädigt. Die Trümmer einer Rakete seien auf eine Militäreinrichtung in der Region gefallen und hätten einen Brand verursacht, hieß es in dem Bericht weiter. Der Angriff habe keine Opfer oder Schäden verursacht, so das Ministerium in Moskau weiter.
Die russische Agentur RIA Novosti meldete auf ihrer Homepage: "Heute Nacht um 3.25 Uhr hat der Feind eine Einrichtung auf dem Gebiet der Region Brjansk mit sechs ballistischen Raketen angegriffen." Nach bestätigten Daten seien ATACMS-Raketen US-amerikanischer Herkunft verwendet worden, schrieb RIA online weiter. Auch die russischen Agenturen TASS und Interfax berichteten von der Attacke und bezogen sich dabei ebenfalls auf das russische Verteidigungsministerium in Moskau. Für den Kreml bedeute diese Attacke am 1.000 Tag des Krieges eine "erhebliche Eskalation", hieß es weiter. Auch auf einem russischen Militärblog und auf inoffiziellen Telegramkanälen war von Explosionen bei Karatschew die Rede. Die Stadt ist etwa 115 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
Keine offizielle Bestätigung aus Kiew
Zuvor hatte es aus Kiew geheißen, dass ein russisches Waffenlager in der Nähe von Karatschew in der Region Brjansk angegriffen worden sei. Das berichteten Bloomberg und Reuters und bezogen sich dabei auf den ukrainischen Generalstab. Zwei ukrainische Medien berichteten, es habe sich um einen Erstschlag mit von den USA gelieferten ATACMS-Raketen gehandelt. Eine offizielle Bestätigung der Ukraine, welche Waffe eingesetzt wurde, gab es nicht. Der Generalstab des Militärs und der militärische Nachrichtendienst antworteten nicht sofort auf Reuters-Bitten um eine Stellungnahme. Das Portal RBK-Ukraina zitierte eine Armeequelle mit den Worten: "Das Objekt ist erfolgreich zerstört worden." Unabhängig überprüfbar waren diese Angaben jedoch nicht.
Die USA gestatten der Ukraine nach Medienberichten erst kürzlich, die Waffen mit bis zu 300 Kilometern Reichweite auch gegen Ziele in Russland einzusetzen. Dies gilt als Antwort auf den vermuteten Einsatz nordkoreanischer Soldaten aufseiten Moskaus. Der Kreml wiederum betrachtet die US-Waffen als eine Eskalation und eine Verwickelung der USA und anderer westlicher Staaten in den seit genau 1.000 Tage währenden Krieg.
Bisher durfte die Ukraine nur HIMARS-Raketenartillerie aus den USA gegen Ziele dicht hinter der russischen Grenze einsetzen, um die Offensive gegen die ostukrainische Großstadt Charkiw abzuwehren. Die Entscheidung des ausscheidenden US-Präsidenten Joe Biden ist im Lager seines Nachfolgers Donald Trump auf Kritik gestoßen.
Putin setzt erneuerte Atomdoktrin in Kraft
Vor Bekanntwerden des ukrainischen Angriffs hatte Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag die erneuerte Atomwaffendoktrin seines Landes in Kraft gesetzt. Ausgehend von der Lage im Krieg und der Krise im Verhältnis zum Westen zählt das Dokument neue Bedrohungsszenarien auf, in denen Russland zu Nuklearwaffen greifen könnte. Die neue Doktrin löst die Fassung von 2020 ab und wurde auf der Webseite des Kremls veröffentlicht.
Neu ist, dass Moskau die Aggression eines nicht nuklearen Staates, der aber von Atommächten unterstützt wird, als deren gemeinsamen Angriff auf Russland wertet. Dies richtet sich dagegen, dass die Ukraine von den Atommächten USA, Großbritannien und Frankreich militärisch unterstützt wird.
Kreml-Chef "wird nicht von alleine aufhören"
Unterdessen forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Europa zu einem entschlosseneren Vorgehen auf. Putin sei "darauf aus, diesen Krieg zu gewinnen, er wird nicht von sich aus aufhören", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft an das europäische Parlament. Je mehr Zeit Putin habe, "desto schlechter werden die Bedingungen", argumentierte Selensky.
"Jeder Tag ist der beste Moment, um Russland härter zu bedrängen." Das EU-Parlament hielt am Dienstag eine Sondersitzung anlässlich von 1.000 Tagen Krieg seit der russischen Invasion im Februar 2022 ab. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte vor der Sitzung bekräftigt, die EU werde die Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen.
Russland rückt in Ostukraine weiter vor
Unterdessen rückte das russische Militär nach Angaben aus Moskau in der Ostukraine weiter vor und eroberte dort erneut ein Dorf. Dabei handle es sich um die Ortschaft Nowoselydiwka, meldete die staatliche Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf das Verteidigungsministerium. Seit August erobert Russland in der Ostukraine Dorf um Dorf und verzeichnet seine schnellsten Geländegewinne seit dem ersten Kriegsjahr 2022.