Ukraine-Krieg:
Ex-NATO-Chef: Festlegung Bidens gegen Eingreifen war falsch
07.05.2022Fogh Rasmussen: ''Wir sollten unseren Gegner in Ungewissheit halten.''
Wien/Kiew (Kyjiw)/Moskau. Der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat sich gegen Festlegungen der westlichen Verteidigungsallianz im Ukraine-Krieg gewandt. "Bis jetzt waren zu viele NATO-Partner zu sehr darauf erpicht, diese oder jede Reaktion auszuschließen. Das sollten wir nie tun", sagte Rasmussen der "Presse am Sonntag". Es sei auch ein Fehler gewesen, dass US-Präsident Joe Biden vor dem russischen Angriff ein Eingreifen dezidiert ausgeschlossen habe.
"Wir sollten unseren Gegner in Ungewissheit halten. Alles andere erweitert nur Putins Spielraum", sagte der frühere dänische Ministerpräsident. "Wenn man Bodentruppen, Flugverbotszonen und anderes ausdrücklich ausschließt, dann sagt man Putin, was er ohne jegliches Risiko tun kann. Ich stimme zu, dass eine Flugverbotszone keine clevere Idee gewesen wäre, weil sie unvermeidlich zu einem Konflikt zwischen Russland und der NATO führen würde. Doch das sollte man nie öffentlich sagen. Mittlerweile hat die NATO aus den Fehlern gelernt."
Als "nicht real" bezeichnete der rechtsliberale Politiker die nuklearen Drohungen des russischen Machthabers. Putin wolle damit nur die NATO-Verbündeten von Waffenlieferungen an die Ukraine abhalten. "Ich persönlich fürchte mich nicht und bin auch nicht besorgt. Putin weiß: Wenn er Massenvernichtungswaffen einsetzt, dann wird es eine entschlossene Antwort der NATO geben. Und er würde verlieren."
Rasmussen: Putin müsse "jetzt gestoppt werden"
Fogh Rasmussen betonte, dass Putin "jetzt gestoppt werden" müsse. Wenn er nämlich in der Ukraine Erfolg habe, werde sein nächstes Ziel Moldau sein, dann Georgien "und eventuell wird er auf die baltischen Staaten Druck ausüben". Der Ex-NATO-Generalsekretär plädierte in diesem Zusammenhang auch für ein Gasembargo gegen Russland. Europa habe diesbezüglich "eine mächtige Waffe in der Hand", weil Putin die Gasexporte nicht einfach nach China umleiten könne. Es dauere Jahre, um die nötigen Pipelines zu bauen. China könne auch nicht den gesamten russischen Öl-Überschuss "aufsagen", weil es dann mit Sanktionen der USA und der EU belegt würde.
Entschieden trat Fogh Rasmussen der - jüngst auch von Papst Franziskus übernommenen - Argumentation entgegen, die NATO habe Russland mit ihrer Erweiterung nach Osteuropa provoziert. "Russland ist kein Opfer und hat keinen Grund, sich provoziert zu fühlen", sagte der frühere Ministerpräsident (2001-2009) und NATO-Generalsekretär (2009-2014). So sei im Jahr 2002 der NATO-Russland-Rat etabliert worden, der einmal monatlich tagte, und im Jahr 2010 sei eine strategische Partnerschaft mit Russland beschlossen worden. "Der Papst sollte diese Geschichte vielleicht durchgehen."
Dagegen sei es ein "Fehler" gewesen, der Ukraine beim NATO-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 keinen Mitgliedschaftsplan zu gewähren. Deutschland und Frankreich hätten sich quer gelegt. "Wir sendeten das falsche Signal an Putin aus. Ein paar Monate nach dem Bukarester Gipfel schickte er uns eine klare Botschaft und griff Georgien an. Und 2014, als sich Putin die Krim holte und den Donbass besetzte, reagierte der Westen zu mild."