Gegensätzliche Standpunkte vertreten Moskau und Kiew bei der Frage, ob Bachmut nun von Russen erobert wurde oder nicht.
Kiew (Kyjiw)/Moskau. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den G7-Gipfel im japanischen Hiroshima als Erfolg für sein Land verbucht. Washington will die von Kiew geforderten Lieferungen westlicher Kampfjets und ein weiteres Hilfspaket für die Ukraine freigeben. Moskau kritisierte die G7-Beschlüsse indes als russlandfeindlich. In Brüssel wollen heute die EU-Außenminister über Hilfe für die Ukraine beraten. Die Lage in Bachmut bleibt unterdessen unklar.
"Das Thema Ukraine stand im Mittelpunkt, der Respekt gegenüber allen Ukrainern war besonders", sagte Selenskyj am Sonntag in seiner abendlichen Videoansprache über den G7-Gipfel. Als Beleg für internationale Unterstützung führte er Treffen mit anderen Staats-und Regierungschefs bei dem Gipfel in Hiroshima an.
Lage in Bachmut bleibt weiter unklar
Unterdessen ist rund 15 Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs die Lage in der hart umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine weiter unklar. Gegensätzliche Standpunkte vertreten Moskau und Kiew bei der Frage, ob Bachmut nun von Russen erobert wurde oder nicht. Am Samstag hatte zunächst der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, die Einnahme verkündet. Später gab auch das reguläre Militär die Eroberung bekannt. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte die Verteilung von Orden an.
Die ukrainische Führung allerdings bestreitet den militärischen Erfolg Moskaus. Selenskyj, der zunächst mit missverständlichen Äußerungen die Spekulationen um die Eroberung der Stadt noch befeuert hatte, wies später die vollständige Einnahme Bachmuts durch russische Truppen zurück. "Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden", sagte er in Hiroshima.
Ukrainisches Militär: "Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen"
Auch das ukrainische Militär hält - zumindest rhetorisch - weiter an Bachmut fest. "Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen und einige Räumlichkeiten im Südwesten der Stadt", sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen. Er räumte allerdings ein, dass die Lage kritisch sei und es schwere Kämpfe gebe. Unabhängig lassen sich die Angaben der Kriegsparteien nicht überprüfen.
Später teilte die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar mit, dass den ukrainischen Truppen an den Flanken weitere Vorstöße gelungen seien. Das Militär habe mehrere Höhenzüge eingenommen, was es den Russen schwer mache, in Bachmut zu bleiben. Die ukrainischen Kräfte hätten bereits einen Halbkreis um die Stadt gebildet, schrieb sie am Sonntag auf Telegram.
Tscherewatyj meldete sich ebenfalls noch einmal zu Wort
Tscherewatyj meldete sich am Sonntagabend ebenfalls noch einmal zu Wort. Seinen Angaben nach ist das Militär nahe Bachmut weiter vorgerückt. "Speziell in den letzten 24 Stunden sind wir an einigen Teilstücken etwa 200 Meter vorgestoßen", sagte Tscherewatyj im ukrainischen Fernsehen. Bereits die ganze Woche sei das ukrainische Militär in der Umgebung der Stadt auf dem Vormarsch.
Bei russischen Angriffen im Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine sind nach Angaben der Militärverwaltung am Sonntag mehrere Wohngebäude beschädigt worden. Bei einer Explosion im Gebiet Charkiw im Osten wurde ein 61 Jahre alter Mann verletzt, wie der ukrainische Rettungsdienst bei Telegram mitteilte.
Biden gab Freigabe eines weiteren Hilfspakets
Die Begegnung mit US-Präsident Biden beim G7-Gipfel habe "wie immer" zur Stärkung der Ukraine geführt, sagte Selenskyj, der sein tägliches Video am Sonntag im Flugzeug kurz vor dem Abflug Richtung Kiew aufnahm. Tatsächlich gab Biden beim Gipfel die Freigabe eines weiteren Hilfspakets für die Ukraine über 375 Millionen Dollar (etwa 346 Millionen Euro) bekannt. Zudem will Washington die seit langem von Kiew geforderten Lieferungen westlicher Kampfjets freigeben.
Selenskyj verwies auch auf Begegnungen mit den Gipfelteilnehmern aus Vietnam und Indonesien. Beide Länder zählen bisher nicht zu den Unterstützern der Ukraine. Sowohl Russland als auch die Ukraine suchen international nach Unterstützung für ihre Position. Selenskyj sprach erneut von einer "ukrainischen Friedensformel", die den Abzug russischer Truppen aus allen besetzten Gebieten der Ukraine als Voraussetzung für Verhandlungen vorsieht.
Kampfjet-Debatte
Bei der Verteidigung gegen Russlands Angriffskrieg rechnet die Ukraine nach dem Einlenken der US-Regierung in der Kampfjet-Debatte nun mit Dutzenden Maschinen aus dem Westen. "Die Flugzeuge werden nicht stückweise übergeben, sondern in Einheiten. Eine Lufteinheit ist mindestens ein Geschwader, in unserem Fall sind es derzeit mehr als 12 Flugzeuge, bei unseren westlichen Partnern bis zu 18 Flugzeugen", sagte der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Juri Ihnat, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen. Auf diese Weise könnten der Ukraine "anfangs mehrere Dutzend Kampfjets zur Lösung anstehender Aufgaben" übergeben werden.
Zuvor hatte US-Präsident Biden dem monatelangen Drängen nachgegeben und den Weg für die Lieferung amerikanischer Kampfjets an die Ukraine prinzipiell freigemacht. Zunächst hatten sich die USA geweigert. Nun unterstützt das Land die Ausbildung ukrainischer Piloten an den F-16-Maschinen, wie beim G7-Gipfel bekannt wurde. Zudem soll gemeinsam mit anderen Partnern entschieden werden, wer wann wie viele Flugzeuge liefert. Konkrete Zahlen gibt es allerdings noch nicht.
Russland kritisiert die Beschlüsse des G7-Gipfels
Während sich die Ukraine freut, hat Russland die Beschlüsse des G7-Gipfels der führenden demokratischen Industrienationen am Wochenende in Hiroshima kritisiert. Dessen wichtigstes Ergebnis sei eine "Ansammlung von Erklärungen, die mit Passagen antirussischen und antichinesischen Charakters angefüllt sind", hieß es am Sonntag in Moskau in einer Mitteilung des Außenministeriums. Die Entscheidungen der Siebener-Gruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Italien, Japan und Deutschland) zielten auf die Vertiefung der Trennlinien in der internationalen Politik.
Moskau warf den G7 zum wiederholten Male vor, eine "umfassende Konfrontation" mit Russland zu suchen. Die westlichen Sanktionen seien ebenso Teil eines "hybriden Kriegs" wie Waffenlieferungen an die Ukraine. Die russische Regierung machte die G7 auch für den jüngsten Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise verantwortlich.