Nach Raketeneinschuss
Polen will Artikel 4 des NATO-Vertrags aktivieren
16.11.2022
Artikel 4 besagt, dass die NATO-Mitglieder einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.
Die Explosion in einem polnischen Dorf im Grenzgebiet zur Ukraine ist nach Angaben der Regierung in Warschau von einer Rakete aus russischer Produktion ausgelöst worden. Der Einschlag in dem Dorf Przewodów habe sich am Dienstag um 15.40 Uhr ereignet, dabei seien zwei Menschen getötet worden, teilte das Außenministerium am Mittwoch mit
Polen hat nach Angaben des Präsidenten Andrzej Duda zufolge keine konkreten Beweise, wer die Rakete abgefeuert hat. "Wir haben im Moment keine schlüssigen Beweise dafür, wer diese Rakete abgefeuert hat... Es war höchstwahrscheinlich eine Rakete aus russischer Produktion, aber das wird im Moment alles noch untersucht", sagt Duda vor Journalisten.
Die NATO-Botschafter treffen einander wegen des Einschlags Mittwoch früh zu einer Krisensitzung. Das teilte ein NATO-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur am späten Dienstagabend mit. Zuvor hieß es vonseiten europäischer Diplomaten, das Treffen werde auf Basis von Artikel 4 des NATO-Vertrags auf Bitten Polens abgehalten. Artikel 4 besagt, dass die NATO-Mitglieder einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.
Polen verstärkt nach Angaben von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Überwachung seines Luftraums. "Ich rufe alle Polen auf, angesichts dieser Tragödie ruhig zu bleiben", betonte der Premier in der Nacht auf Mittwoch nach einer Krisensitzung seines Kabinetts. "Wir müssen Zurückhaltung und Umsicht walten lassen."
Das Land versetzte einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft, dies gelte auch für andere uniformierte Dienste, erklärte ein Regierungssprecher am Dienstagabend in Warschau. Es gehe dabei um bestimmte militärische Kampfeinheiten sowie die Kampfbereitschaft von Einheiten der uniformierten Dienste.
Artikel Vier und Fünf des NATO-Vertrages
Die Artikel vier und fünf des NATO-Gründungsvertrages vom 4. April 1949 sind Kernelemente des Verteidigungsbündnisses. Vor allem Artikel Fünf gilt als Herzstück - in ihm ist der sogenannte Bündnisfall geregelt.
Artikel Vier besagt: "Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist." Konkrete Reaktionen muss das nicht zur Folge haben.
Der Artikel wurde NATO-Angaben zufolge seit der Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen. Zuletzt war das am 24. Februar 2022 der Fall. Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei und die Tschechische Republik hatten dies nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine beantragt.
In Artikel Fünf ist geregelt, dass die Bündnispartner einen bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen als ein Angriff gegen sie alle ansehen. Sie verpflichten sich, Beistand zu leisten. Konkret heißt es, dass es dabei um die für sie als erforderlich erachteten Maßnahmen geht, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten - einschließlich Waffengewalt.
Artikel Fünf ist in der NATO-Gesichte erst ein einziges Mal aktiviert worden, nach den Anschlägen am 11. September 2001. Dies führte dazu, dass Deutschland und andere NATO-Staaten sich am Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan beteiligten. Aus dem Wortlaut des Artikels geht aber nicht hervor, dass NATO-Staaten zum Beispiel eigene Truppen zur Unterstützung entsenden müssen. Er verpflichtet lediglich dazu, unverzüglich Maßnahmen zu treffen, die der jeweilige NATO-Staat für erforderlich hält.