Ukraine

Putin fordert Anerkennung "neuer territorialen Realitäten"

15.11.2024

Russlands Präsident Wladimir Putin hat laut Kreml am Freitag in einem Telefonat mit Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz zur Lösung des Ukraine-Konflikts auf die Berücksichtigung von Moskaus Sicherheitsinteressen gedrängt.

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© APA/AFP/Alexander NEMENOV
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Ein mögliches Abkommen müsse die "neuen territorialen Realitäten" und die "eigentlichen Ursachen des Konflikts" berücksichtigen, hieß es in Moskau. Scholz habe Putin zum Truppenabzug aus der Ukraine aufgefordert, erklärte wiederum die Berliner Regierung.

Putin hielt Scholz einem Kremlsprecher zufolge entgegen, dass der Krieg eine Folge jahrelanger aggressiver Politik der NATO sei, die die Ukraine zu einem gegen Russland gerichteten Aufmarschgebiet machen wolle. Mit der Annexion der Halbinsel Krim 2014 und im Zuge des seit 2022 dauernden Angriffskriegs hat Russland in der Ukraine Fakten geschaffen und zählt rund 20 Prozent der Ukraine zu seinem Staatsgebiet, was international kaum anerkannt wird.

Das auf Betreiben Deutschlands abgehaltene Gespräch habe einen offenen Meinungsaustausch beinhaltet, hieß es seitens der Nachrichtenagentur TASS. Auch die Lage in Nahost sei Thema gewesen. Der Kreml betonte aber, der russische Präsident habe auch einen nie dagewesenen Verfall in den russisch-deutschen Beziehungen konstatiert - "als Folge des unfreundlichen Kurses der Behörden der BRD". Zugleich sagte Putin demnach mit Blick auf die russischen Energielieferungen der Vergangenheit, dass Russland seine Verträge stets erfüllt habe und bereit sei, die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil wieder aufzunehmen.

Scholz und Putin: Erstes Telefonat seit fast zwei Jahren

Es war das erste Telefonat von Scholz (SPD) und Putin seit fast zwei Jahren. Zuletzt hatten sie am 2. Dezember 2022 miteinander gesprochen. Gut neun Monate zuvor hatte Russland seine Offensive in der Ukraine gestartet.

Zum letzten Mal hatte Scholz Putin gut eine Woche vor dem russischen Angriff auf die Ukraine bei seinem Antrittsbesuch in Moskau persönlich getroffen. Wegen Corona saßen beide im Kreml an einem riesigen ovalen Tisch meterweit voneinander entfernt. Nach der Invasion gab es noch einzelne Telefonate, die dann aber abbrachen. Das hatte vor allem mit der russischen Kriegführung in der Ukraine und fehlender Aussicht auf konkrete Ergebnisse zu tun.

Scholz: "Ich mache das nicht im Alleingang"

Scholz hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden. "Ja, ich habe mir vorgenommen, mit dem russischen Präsidenten zur richtigen Zeit zu sprechen. Aber ich bin ein verantwortlicher Politiker, ich mache das nicht im Alleingang." Ein Gespräch mit Putin setze viele Kontakte und Gespräche mit sehr vielen anderen voraus. Der Zeitpunkt des Gesprächs dürfte mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht. Dort wird auch der russische Außenminister Sergej Lawrow erwartet.

Putin selbst hatte am 18. Oktober seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht "die normale Arbeit des Forums zu stören", das andere Themen habe. Gegen Putin liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine vor. Er würde in Brasilien eine Festnahme riskieren.

G20: Scholz plant kein Gespräch mit Lawrow

Die G20 der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die NATO-Staaten noch hochrangig an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Lawrow. Nach Angaben aus seinem Umfeld wird er aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.

Die Berliner Bundesregierung erklärte zu dem Gespräch, Scholz habe den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt und Putin aufgefordert, diesen zu beenden. Der Kanzler habe zudem auf eine Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens gedrängt. Scholz habe auch die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands bekräftigt, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen. Am Mittwoch hatte Scholz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert.

Selenskyj zeigte sich alarmiert 

Selenskyj zeigte sich am Freitag jedoch alarmiert. Mit dem Telefonat öffne der Kanzler eine Büchse der Pandora. Bemühungen, Putin international zu isolieren, würden untergraben. "Jetzt könnte es weitere Gespräche, weitere Anrufe geben. Einfach viele Worte. Und genau das hat Putin schon lange gewollt: Es ist für ihn äußerst wichtig, sich aus seiner Isolation zu lösen", sagte Selenskyj in seiner regelmäßigen abendlichen Ansprache.

Er erklärte, ein neues Minsker Abkommen werde es nicht geben. Das 2015 mit deutscher Vermittlung zustande gekommene Abkommen sollte den damals auf den Osten der Ukraine beschränkten Krieg zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischer Armee beenden. Die Kämpfe wurden jedoch fortgesetzt.

Selenskyj: "Der Krieg wird enden"

Selenskyj ließ zudem wissen, er rechne mit einem früheren Ende des Krieges als bisher durch den neuen US-Präsidenten Donald Trump. "Der Krieg wird enden, doch ein genaues Datum gibt es nicht. Natürlich wird mit der Politik dieses Teams, das nun das Weiße Haus führen wird, der Krieg früher enden", sagte Selenskyj im ukrainischen Sender Suspilne. Der Präsident betont, ein "gerechter Frieden" sei für die Ukraine lebenswichtig.

Deutschland ist nach den USA der größte Unterstützer der Regierung in Kiew. Allerdings betont der deutsche Kanzler regelmäßig, eine weitere Eskalation und eine direkte Beteiligung des Westens an dem Krieg müsse verhindert werden. Deshalb verweigert Scholz der Ukraine mit wenigen Ausnahmen, mit von Deutschland gelieferten Waffen Ziele auf russischem Staatsgebiet anzugreifen. Auch den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern will der Kanzler trotz wiederholter Forderungen der Ukraine nicht liefern.

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