Nach massiven russischen Raketenangriffen auf die ukrainische Energie-Infrastruktur, waren mehr als eine Million Menschen ohne Strom.
Kiew (Kyjiw). Bei den schwersten russischen Angriffen auf die ukrainische Energie-Infrastruktur seit Kriegsbeginn sind in der Nacht auf Freitag mindestens fünf Menschen getötet worden. 14 Menschen seien verletzt worden, teilte das Innenministerium in Kiew mit. Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, sie habe bei den massiven Angriffen in der Nacht 92 von 151 russischen Raketen und Drohnen abgeschossen. Mehr als eine Million Menschen waren ohne Strom.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte auf Telegram: "Der Welt werden die Ziele der russischen Terroristen klar vorgeführt: Kraftwerke und Energieversorgung, ein Staudamm, gewöhnliche Wohngebäude und sogar ein Oberleitungsbus." Getroffen wurde demnach die größte Talsperre des Landes. Es bestehe jedoch kein Risiko eines Bruchs, teilte der Betreiber des Wasserkraftwerks mit. Es gebe ein Feuer in der Anlage. Mitarbeiter und Notfalldienste seien im Einsatz.
Stromleitung zu Atomkraftwerk unterbrochen
Auch eine Stromleitung zum Atomkraftwerk Saporischschja wurde unterbrochen. Die Hochspannungsleitung Dniprowskaja sei in der Früh ausgefallen, teilte die Kraftwerksleitung des vom russischen Militär besetzten Kraftwerks im Süden der Ukraine auf Telegram mit. Die Stromversorgung gewährleiste eine Ersatzleitung, Gefahr für die Sicherheit des AKW bestehe nicht, hieß es weiter. Das größte Atomkraftwerk Europas ist schon mehrfach unter Beschuss geraten. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren schließlich heruntergefahren, müssen aber weiter gekühlt werden.
Die russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur und andere zivile Einrichtungen wurden von Österreich scharf verurteilt. "Diese Angriffe sind gefährlich und verantwortungslos. Während Putin seinen Krieg fortsetzt, stehen wir weiterhin zur Ukraine", teilte das Außenministerium am Freitag auf X mit.
Dringlichkeitssitzung der EU-Energieminister
"Wir sehen derzeit, dass Russland wieder massiv die ukrainische Energieinfrastruktur angreift und zerstört", bekräftigte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) nach einer Dringlichkeitssitzung der EU-Energieminister und der Internationalen Energieagentur (IEA). "Auch in Österreich müssen wir uns darauf einstellen, dass die Gasleitungen und Verdichterstationen angegriffen werden. Der Gastransport durch die Ukraine kann dadurch jederzeit unterbrochen werden", sagte Gewessler. Deswegen sei es so wichtig, dass sich österreichische Gasversorger "auf eine Lieferunterbrechung vorbereiten, verantwortungsvoll handeln und gezielt nichtrussisches Gas beschaffen".
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmychal betonte, dass die Lage im ukrainischen Energiesystem "grundsätzlich unter Kontrolle" sei. Es gebe keine Notwendigkeit zur Aktivierung von Notfallplänen, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform. An der Behebung der Schäden werde bereits gearbeitet.
15 Explosionen in Charkiw
Nach Angaben der Behörden in der südukrainischen Region Saporischschja wurden dort drei Menschen getötet. Das Innenministerium in Kiew hatte zuvor von zwei Toten in der westlichen Region Chmelnyzkyj gesprochen.
Russische Raketenangriffe auf die südukrainischen Region Saporischschja
Russische Raketenangriffe auf die südukrainischen Region Saporischschja
In der Millionenstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine gab es nach Angaben des Bürgermeisters am Freitag in der Früh etwa 15 Explosionen wegen russischer Raketenangriffe. Ihor Terechow zufolge waren die Angriffe darauf angelegt, die Stromversorgung der Stadt zu zerstören. Teilweise sei es zu Stromausfällen in der ganzen Stadt gekommen. Einschläge auf Energieobjekte gab es auch in Mykolajiw, Saporischschja, Dnipropetrowsk,Lwiw und Sumy. "Das Ziel (der Angriffe) besteht nicht nur darin, das Energiesystem des Landes zu beschädigen, sondern wie im letzten Jahr erneut zu versuchen, einen großflächigen Ausfall herbeizuführen", schrieb der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook.
Luftalarm in weiten Teilen der Ukraine
In der Nacht herrschte in weiten Teilen der Ukraine Luftalarm. Nach Angaben der ukrainischen Flugabwehr hatte Russland Marschflugkörper von strategischen Bombern des Typs Tu-95 aus dem Raum rund ums Kaspische Meer abgeschossen. Später wurden auch Angriffe mit Drohnen und ballistischen Raketen unter anderem vom Typ Kinschal gemeldet.
Beim Beschuss der westrussischen Regionen Belgorod und Kursk durch die Ukraine gab es offiziellen Angaben nach mindestens eine Tote und mehrere Verletzte. In Belgorod sei eine Frau beim Ausführen ihrer Hunde durch einen Einschlag ums Leben gekommen, teilte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow am Freitag auf Telegram mit. Zwei weitere Personen seien verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden; eine Frau mit Splitterverletzungen an den Beinen und ein Mann mit einem Schädeltrauma. Zudem seien Wohnhäuser und Autos beschädigt worden, teilte Gladkow weiter mit.
Ukraine: Russische Raketenangriffe auf Belgorod
Nächtlicher Beschuss auch in der Region Kursk
Auch der Gouverneur der benachbarten Region Kursk, Roman Starowoit, berichtete über nächtlichen Beschuss. In der grenznahen Ortschaft Tjotkina sei dabei eine Person verletzt worden. Auch dort habe es Sachschäden gegeben. Noch nicht bestätigt wurde eine von Medien gemeldete Bruchlandung eines Hubschraubers vom Typ Mi-8 in der Region Belgorod. Der Pilot habe verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, berichtete das Internetportal Baza. Belgorod und Kursk dienen der russischen Armee auch als Aufmarschgebiet für die Invasion der Ukraine. Die Regionen sind zuletzt deswegen auch verstärkt unter den Beschuss ukrainischer Kräfte geraten.
Der Kommandant des ukrainischen Heeres warnte indes vor einer Sommeroffensive des Aggressors. Die russischen Streitkräfte seien dabei, "eine Gruppe von mehr als 100.000 Personen zusammenzustellen", sagte General Oleksander Pawljuk am Freitag im staatlichen ukrainischen Fernsehen. "Es handelt sich nicht zwangsläufig um eine Offensive. Vielleicht werden sie sie dafür nutzen, ihre Einheiten aufzufüllen, die ihre Kampfkraft verlieren", fügte er hinzu. Derzeit sei Russland im Vorteil, räumte er ein. Vize-Regierungschefin Olha Stefanischyna betonte am Freitag, dass russische Ölraffinerien weiterhin legitime Ziele für Angriffe sind. "Wir verstehen die Forderungen der US-Partner, aber gleichzeitig kämpfen wir mit den Fähigkeiten, Ressourcen und Praktiken, die wir haben", sagte sie mit Blick auf einem Bericht der "Financial Times", wonach Washington Kiew aufgefordert habe, Angriffe auf russische Raffinerien aus Rücksicht auf die Ölpreisentwicklung zu unterlassen.