Ukraine-Krieg
Russland: Blockade von Stahlwerk in Mariupol steht
22.04.2022Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von einer "sicheren Blockade" des Werks.
Kiew (Kyjiw)/Moskau. In der durch die Kämpfe schwer zerstörten ostukrainischen Hafenstadt Mariupol hat sich die Lage nach russischen Angaben normalisiert. "Die Bewohner der Stadt haben die Möglichkeit bekommen, sich wieder frei auf der Straße zu bewegen", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Freitag. Die Reste der ukrainischen Kämpfer und der "Söldner aus den USA und europäischen Ländern" seien auf dem Gelände des Stahlwerks Azowstal eingeschlossen.
Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von einer "sicheren Blockade" des Werks. Präsident Wladimir Putin hatte seinen Verteidigungsminister am Donnerstag angewiesen, den riesigen Komplex abzuriegeln, "damit nicht einmal eine Fliege durchkommt".
Russische Luft- und Raketenangriffe
Das Verteidigungsministerium erklärte außerdem, Russland habe am Freitag Dutzende von Zielen in den ukrainischen Regionen Donezk und Charkiw getroffen. Durch russische Luft- und Raketenangriffe sind laut Konaschenkow am Tag insgesamt 39 Militärobjekte getroffen worden. Unter anderem seien Munitionsdepots, aber auch Truppenansammlungen, Kommandopunkte und Militärkonvois vernichtet worden.
In einer Erklärung bezeichnete das Ministerium die verbliebenen Kämpfer des ukrainischen Asow-Bataillons, die sich in dem Stahlwerk verschanzt haben, als Nazis. "Die Lage in Mariupol hat sich normalisiert. Die Bewohner der Stadt können jetzt frei nach draußen gehen, ohne Angst vor ukrainischen Nazis", sagte Konaschenkow. Die Straßen würden von Trümmern und kaputter Militärtechnik geräumt. Die Stadt war in den schlimmsten Verwüstungen des achtwöchigen Krieges in Schutt und Asche gelegt worden.
Putin ist am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert mit dem erklärten Ziel, das Land zu entmilitarisieren und zu "entnazifizieren", was Kiew und der Westen als unbegründete Kriegspropaganda zurückgewiesen haben. Die Ukraine schätzt, dass in Mariupol, wo einst 400.000 Menschen lebten, Zehntausende von Zivilisten ums Leben gekommen sind. Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz gehen davon aus, dass die Zahl der zivilen Opfer mindestens in die Tausende geht.
Russland hat bereits 20.000 Soldaten verloren
Offiziell hat Moskau bisher nur 1.351 getötete Soldaten bestätigt, die wahren Opferzahlen dürften aber weit hoher sein. Die Kreml-nahe Zeitung „Readovka“ hat am späten Donnerstagabend kurz vor Mitternacht nun auf der VKontakte-Seite (russische Facebook) ganz andere Zahlen veröffentlicht – und kurz danach wieder gelöscht.
Demnach wurden bisher 13.414 Soldaten getötet, knapp 7.000 weitere gelten als vermisst. In Summe hat die russische Armee also bereits 20.000 Soldaten verloren. 116 Russen sind auf dem gesunkenen Schlachtschiff „Moskwa“ gestorben, 100 weitere gelten als vermisst.
Wie es zur Veröffentlichung der brisanten Zahlen kam, ist bislang nicht bekannt. Die Zeitung spricht offiziell von einem Hackerangriff.
Massengrab entdeckt
In der Nähe von Mariupol wurde ukrainischen Angaben zufolge ein Massengrab mit bis zu 9.000 Toten entdeckt. Bürgermeister Wadym Bojtschenko wirft Moskau vor, „ihre Kriegsverbrechen verheimlichen“ zu wollen und spricht von einem „neuen Babyn Jar“. In diesem Tal auf dem auf dem Gebiet der ukrainischen Hauptstadt Kiew ermordeten 1941 Nazi-Truppen innerhalb von 48 Stunden mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder.
Satellitenbilder zeigen dem Betreiber Maxar zufolge das Massengrab nahe der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol. Das Feld sei in den vergangenen Wochen vergrößert worden, teilt das US-Unternehmen mit. Ein Vergleich von Bildern von Mitte März bis Mitte April deute darauf hin, dass die Vergrößerung zwischen dem 23. und 26. März begonnen habe.
Das Massengrab liege in der Nähe eines existierenden Friedhofes in der Ortschaft Manhusch 20 Kilometer westlich von Mariupol. Nach einem Bericht der US-Zeitung "The New York Times", die die Aufnahmen nach eigenen Angaben analysiert hat, gibt es dort etwa 300 ausgehobene Grabstellen. Sie sollen innerhalb von zwei Wochen zwischen März und April angelegt worden sein, wie ein Vergleich der Aufnahmedaten gezeigt habe.
Selenskyj: "Mariupol ist noch nicht verloren"
Nach Angaben aus Kiew dauert der Widerstand in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol an. Die Stadt widersetze sich weiter Russland, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Freitag. "Trotz allem, was die Besetzer über sie sagen." Selenskyj hält die nach Angaben des Kreml nun von Russland kontrollierte Hafenstadt noch nicht für komplett verloren.
"Die Situation ist schwierig, die Situation ist schlecht", sagte der Staatschef am Donnerstag Journalisten örtlichen Medien zufolge in Kiew. "Dort gibt es über 400 Verwundete in dieser Zitadelle. Das sind nur die Soldaten." Es gebe ebenfalls verletzte Zivilisten.
100.000 eingeschlossene Zivilisten
Kiew habe Moskau bereits mehrere Varianten vorgeschlagen, darunter einen Austausch von "Verwundeten gegen Verwundete". "Vor uns liegen entscheidende Tage, die entscheidende Schlacht um unseren Staat, um unser Land, um den ukrainischen Donbass", betonte Selenskyj.
Über das Schicksal der rund 100.000 eingeschlossenen Zivilisten in der Hafenstadt entscheidet nach den Worten des Bürgermeisters allein der russische Präsident Wladimir Putin. "Es ist wichtig zu verstehen, dass das Leben der Menschen, die noch dort sind, in den Händen einer einzigen Person liegen - Wladimir Putin. Und alle Todesopfer, die noch hinzukommen, gehen auch auf sein Konto", sagt Bürgermeister Wadym Bojtschenko.
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