Nach der Präsentation seines sogenannten Siegesplans in den USA will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die daraus resultierenden Schritte beim bevorstehenden Gipfel in Ramstein diskutieren
"Ich habe den Siegesplan vorgestellt und wir haben vereinbart, dass wir unsere nächsten Schritte bald mit unseren Verbündeten in Deutschland im Ramstein-Format besprechen werden. Oktober ist die Zeit der Entscheidungen", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
US-Präsident Joe Biden reist Mitte Oktober nach Deutschland und will dort am 12. Oktober auf Ebene der Staats- und Regierungschefs ein Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe veranstalten, die von den USA geführt wird. Auch Selenskyj soll dabei sein. Zur Ukraine-Kontaktgruppe gehören etwa 50 Staaten, Deutschland ist auch beteiligt. Normalerweise nehmen an den regelmäßigen Gesprächen die Verteidigungsminister der Mitgliedsländer teil. Die USA und Deutschland sind die größten Waffenlieferanten der Ukraine.
"Siegesplan vorgestellt"
Selenskyj hatte bei seinen Gesprächen in Washington einen von ihm konzipierten "Siegesplan" vorgestellt. Nach Medienberichten geht es um ein Papier aus vier bis fünf Punkten, die sich weniger wie ein Plan, als vielmehr wie eine weitere der regelmäßig von Kiew vorgelegten Listen mit Wünschen an die westlichen Partner lesen - unter anderem zur Lieferung spezifischer Waffen und einer Ausweitung der westlichen Finanzhilfen.
Selenskyj fordert von den Verbündeten die Erlaubnis, von ihnen gelieferte weitreichende Waffen gegen Stellungen auch auf russischem Territorium einzusetzen. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Lieferung deutscher Marschflugkörper in die Ukraine abgelehnt und sich zuletzt dagegen ausgesprochen, die Regeln für den Einsatz der von Deutschland gelieferten Waffen durch die ukrainischen Streitkräfte weiter zu lockern.
Mit Blick auf Selenskyjs Forderung pocht SPD-Chef Lars Klingbeil auf "besonnenes Agieren". "Bundeskanzler Olaf Scholz ist dazu im engen Austausch mit unseren westlichen Partnern wie der USA", sagte er. "Wir akzeptieren, wenn andere das anders entscheiden. Aber für Deutschland ist die Entscheidung klar."
Weiter keine Erlaubnis
Zum Hauptanliegen Selenskyjs während seines USA-Besuchs, die Erlaubnis zum Einsatz der vom Westen gelieferten weitreichenden Waffen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet, gab es weiter keine klare Erklärung. "Dies würden als Erste die Russen erfahren", sagte Selenskyjs Pressesprecher Serhij Nikiforow im ukrainischen Fernsehen. "Und danach gibt es eine öffentliche Erklärung dazu." Zwar gebe es noch keine "eindeutige Lösung", doch hoffe Kiew weiter auf ein Einlenken seiner Partner.
Anders sah dies Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz nach seinem UN-Auftritt in New York. Er wertete das Schweigen des Westens als Zeichen dafür, "dass man den Aussagen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zur Nukleardoktrin genau zugehört hat". Wie es diese Länder dann verstünden, könne er aber nicht beurteilen.
Der Kremlchef hatte nach einer Anpassung dieser Doktrin erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Demnach werde jeder konventionelle Angriff auf Russland, der von einer Atommacht unterstützt wird, als gemeinsamer Angriff dieser Länder angesehen.
Selenskyj dankte in seiner Videoansprache Präsident Biden für das neueste militärische Hilfepaket und die weitere Unterstützung mit einem Gesamtumfang von knapp acht Milliarden Dollar. US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die Biden nach der Wahl im November an der Spitze der Regierung ablösen will, versprach Selenskyj ebenfalls Unterstützung und warnte indirekt vor einem Wahlsieg ihres republikanischen Kontrahenten Donald Trump.
Selenskyj sagte weiter, die Treffen mit Harris und Trump, seien wichtig für die Ukraine gewesen. Er hielt sich jedoch von einer eigenen Bewertung der Gespräche zurück und versuchte, Neutralität zu wahren. Trump hat mehrfach durchblicken lassen, dass er kein Befürworter der massiven US-Unterstützung für Kiews Abwehrkrieg gegen Russland ist.
Selenskyj sagte, sein Land habe die volle Unterstützung für die Strategie, Frieden durch Stärke zu schaffen. Die Einheit der Verbündeten sei wichtig, um Russland und diesen Krieg zu stoppen und einen echten, ehrlichen Frieden zu garantieren. "Den Frieden, den die Ukraine mehr als jeder andere auf der Welt will und der mit Sicherheit kommen wird."
Im Osten der Ukraine lieferten sich die Kriegsparteien weiterhin schwere Kämpfe. Im Tagesverlauf seien an den diversen Frontabschnitten 66 bewaffnete Zusammenstöße mit unterschiedlicher Intensität registriert worden, teilte der Generalstab in Kiew in seinem abendlichen Lagebericht mit.
Knapp ein Drittel dieser Gefechte seien in der Region Pokrowsk am Rande des Donbass ausgetragen worden. Dort hätten russische Truppen 24 Versuche unternommen, die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Die Angriffe seien abgewehrt worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Ein Richter des Obersten Gerichts der Ukraine wurde bei einem russischen Drohnenangriff getötet. Der 61-jährige Leonid Lobojko sei ums Leben gekommen, als eine Drohne sein Privatauto in einem Vorort der ostukrainischen Großstadt Charkiw traf, berichtete der regionale Militärverwalter Oleh Synjehubow auf Telegram. Lobojko sei auf der Stelle tot gewesen.
Drei Frauen, die sich in dem Auto befanden, wurden schwer verletzt. Lobojko war in der Region unterwegs, um humanitäre Hilfe zu verteilen. Das Oberste Gericht bestätigte den Tod seines Mitglieds auf Facebook und sprach der Familie sein Beileid aus.