Russische Botschafter : "Wir haben keine Truppen im Osten der Ukraine"
"Wir wollen keinen Krieg. Wir wollen uns nicht in internationale Konflikte einmischen. Wir haben an unserem Unterleib einen Bürgerkrieg oder bewaffnete Krise", meinte der russische Botschafter in Österreich, Sergej Netschajew, bei einer Diskussion am Donnerstag in Wien. Sowohl die Ukraine als auch der Westen beschuldigen Russland, die Aufständischen in der Ostukraine militärisch zu unterstützen.
Schwere Vorwürfe gegen Russen
Ein ukrainischer Militärsprecher sprach kürzlich von 5.000 bis 10.000 russischen Soldaten im Konfliktgebiet. Die Berichte über russische Waffenlieferungen in die Ukraine reißen nicht ab. Im Osten der Ukraine "ist jegliche Form der Unterstützung der Separatisten durch Russland oder Waffenlieferung sofort zu unterlassen", hatte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) schon vor Monaten gewarnt. Die EU hat Sanktionen gegen Moskau erlassen.
Russland Dementiert
Netschajew sieht die Lage anders: "Wir haben keine Truppen im Osten der Ukraine". "Freiwillige" aus verschiedenen Regionen Russlands kämpften im Osten, sie bekämen dafür aber kein Geld. Russland selbst schicke keine Soldaten in die Region.
"Russland ist nicht ohne Einfluss auf den jetzigen Konflikt", hielt der ehemalige EU-Abgeordnete und Ko-Präsident der Denkfabrik ICEUR Vienna Hannes Swoboda (SPÖ) dem Botschafter entgegen. "Länder haben die Verpflichtung, das (den Einsatz "Freiwilliger", Anm.) zu unterbinden", mahnte Swoboda. "Was ist, wenn 'Freiwillige' nach Tschetschenien gehen?"
„Helsinki II“
Swoboda plädierte zur Krisenlösung für einen neuen Helsinki-Prozess, ein "Helsinki II". Mit der Schlussakte von Helsinki wurde 1975 die Ost-West-übergreifende KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), aus der die heutige OSZE entstand, gegründet.
Die Konflikte in der Ukraine, Georgien (Abchasien, Südossetien) und der Republik Moldau (Transnistrien) seien nicht isoliert zu sehen. Seiner Meinung nach sollte es keine weiteren NATO-Erweiterungen in Europa geben, obwohl in der Ukraine die Zustimmung zur NATO durch den Konflikt gestiegen sei. Auch wirtschaftliche Verflechtungen könnten positiv zur Sicherheit betragen, sprach sich Swoboda für eine "große Freihandelszone" aus.
"Wir glauben nicht, dass es zu einem heißen Krieg kommt", schloss Netschajew eine militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO aus. Zugleich meinte er, es gehe in dem gegenwärtigen Konflikt nicht um die Ukraine, sondern darum, die "NATO wieder Aufleben zu lassen". "Nicht wir standen an der Wiege für die Verschlechterungen der Beziehungen" zum Westen, gab der Botschafter weiter Einblick in die russische Sichtweise. "Wir sind und bleiben Europäer." Dennoch sei schon bereits die Östliche Partnerschaft der EU mit der Ukraine für Russland "nicht so ganz vorteilhaft" gewesen.
Ukrainer sollen über NATO-Beitritt entscheidne
Die Bürger der Ukraine sollen nach dem Willen von Präsident Petro Poroschenko in einigen Jahren in einem Referendum über einen umstrittenen NATO-Beitritt entscheiden. NATO-Oberkommandant Philip Breedlove zeigte sich am gestrigen Mittwoch besorgt über die Konzentration russischer Streitkräfte auf der von Russland annektieren Halbinsel Krim.
Russland Rüstet Krim auf
Der Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte in Sewastopol auf der Krim, die Russland von der Ukraine annektiert hat, sei von 18.000 auf 25.000 Soldaten aufgestockt worden, sagte Netschajew. "Wir haben nur die Stabilität in unserem Land gesichert." In einem umstrittenen Referendum am 16. März stimmten rund 96 Prozent der Bevölkerung der Halbinsel für die Abspaltung von der Ukraine. Kiew und die internationale Gemeinschaft, darunter auch Österreich, erkennen das Referendum nicht an.
Eine junge Frau aus dem Publikum aus dem ostukrainischen Charkiw wünschte sich Schutz vor der Militärmacht Russland. "Eine Mauer (an der Grenze, Anm.) wäre schön, weil es werden immer schwere Waffen geliefert, es gibt zahlreiche Beweise." Es seien bereits rund 4.000 russische Soldaten "in Särgen" nach Russland zurückgekehrt.
Über 4.300 Tote und 930.000 Flüchtlinge
Im Ukraine-Konflikt sind seit Anfang April mehr als 4.300 Menschen bei Gefechten zwischen der Regierungsarmee und pro-russischen Kämpfern getötet worden. Rund 930.000 Menschen sind aus dem Konfliktgebiet geflohen. Ungeachtet eines Anfang September vereinbarten Abkommens über eine Waffenruhe reißt die Gewalt nicht ab.
Sollte es keinen Dialog zwischen Kiew und den "neu gewählten Repräsentanten" der Ostukraine geben, sind die Aussichten laut Netschajew "düster". Die "Wahlen" Anfang November in den Separatistengebieten wurden international nicht anerkannt.