Ungarn-Wahl

Hauchdünne Zwei-Drittel-Mehrheit für Orban

06.04.2014

Trotz Verlusten klarer Wahlsieg für Fidesz. Zugewinne für rechtsextreme Jobbik.

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Die Partei des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban hat die ungarischen Parlamentswahlen wie erwartet klar gewonnen. Ob sich die Regierungspartei Fidesz-MPSZ auch über den Erhalt der Zwei-Drittel-Mehrheit freuen kann, war auch am Montag noch unklar.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die Partei von Orban trotz Verlusten auf 44,4 Prozent der Stimmen und 133 der insgesamt 199 Parlamentsmandate. Demnach bliebe die Zwei-Drittel-Mehrheit für Orbans Bund Junger Demokraten erhalten, hängt aber an einem einzigen Sitz und könnte nach Meinung von Experten mit Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses noch kippen. Dieses hängt von den Wahlkarten ab, mit denen Bürger gewählt haben, die ihre Stimme nicht an ihrem ständigen Wohnort abgaben.

Auf dem zweiten Platz landete das linksliberale Oppositionsbündnis um die Sozialisten (MSZP) mit 25,9 Prozent. Die rechtsradikale, Roma-feindliche Jobbik erreichte mit 20,5 Prozent. Die Grüne Partei Politik kann anders sein (LMP) übersprang mit 5,2 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde.

In absoluten Zahlen verlor Orban gegenüber der letzten Wahl bis zu 700.000 Stimmen
Die Wahlbeteiligung lag bei 61 Prozent. Bei der vorangegangenen Parlamentswahl 2010 hatte Fidesz 53 Prozent der Stimmen erhalten, die MSZP 19 Prozent, Jobbik 17 Prozent und die LMP knapp acht Prozent. Im Vergleich zur letzten Wahl verlor Fidesz in absoluten Zahlen bis zu 700.000 Stimmen, während die Linke und Jobbik Stimmen dazugewannen. Dass Fidesz dennoch ganz in die Nähe der Zweidrittelmehrheit kam, schreiben Wahlforscher Änderungen des Wahlgesetzes, das die relativ stärkste Partei noch stärker begünstigt als bisher. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit könnte Fidesz die Verfassung wie bisher im Alleingang ändern.

Orban feierte am Sonntagabend seinen Wahlsieg mit tausenden Anhängern in Budapest. "Das ist ein großartiger Sieg, dessen Bedeutung wir heute noch gar nicht ermessen können", zeigte sich der Premier euphorisch.

Der Chef des Linksbündnisses und frühere Premier Gordon Bajnai musste hingegen seine Niederlage eingestehen. Das Linksbündnis werde dennoch nicht aufgeben, sagte er. Laut Attila Mesterhazy, Spitzenkandidat der Oppositionsallianz, wurden die Wahlen unter unlauteren Regeln und ungleichen Bedingungen abgehalten. Der sozialistische Ex-Premier Ferenc Gyurcsany betonte: Wir achten den Willen der Wähler, werden jedoch die Macht von Orban "niemals als legitim betrachten".

Jobbik-Chef Gabor Vona sprach von einer "stetig steigenden Popularität" seiner Partei. Auch wenn Jobbik nicht den erwünschten "Durchbruch" erzielt habe. "Morgen werden wir den Staub von uns abschütteln und 2018 die Wahlen gewinnen."

Beobachter betonten den eindeutigen Sieg Orbans. Der Analyst Aron Hidvegi erklärte zudem: Die Konzeption des linken Fünf-Parteien-Wahlbündnisses habe zu Rissen geführt. Die Aufnahme von Gyurcsanys neuer Partei habe die Erneuerung der Linken verhindert. Sein Kollege Attila Juhasz strich die Erstarkung der antisemitischen und Roma-feindlichen Jobbik hervor. Der Politikwissenschafter Zoltan Kiszelly sagte, es habe keine Wechselstimmung in der Bevölkerung gegeben und die linke Opposition - "Sie sind vom Alltagsleben in Ungarn meilenweit entfernt" - sei "unglaubwürdig" gewesen. So sei ein Protestvotum ausgeblieben.

Experte: Orban braucht Zwei-Drittel-Mehrheit für Verhandlungen in Brüssel
Orban habe während seiner letzten, vierjährigen Regierungszeit mit seiner Zwei-Drittel-Mehrheit das Land bereits grundlegend umgebaut. Dennoch brauche er erneut die Zwei-Drittel-Mehrheit, betonte Kiszelly gegenüber der APA. "Diese ist für Orban sehr wichtig, umso einen symbolischen Sieg nach außen aufzeigen zu können. Das heißt, bei Verhandlungen in Brüssel und gegenüber den großen ausländischen Konzernen kann Viktor Orban mit einer wirklichen Zwei-Drittel-Mehrheit viel besser verhandeln als bei einer 'praktischen Zwei-Drittel-Mehrheit'. Das wäre ein symbolischer Sieg für Orban."

Sandor Richter, Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche erwartet weiter schwaches Wachstum für Ungarn. Orban müsse neue Einnahmequellen finden, um das Budget im Gleichgewicht zu halten, sollte er die unter ihm eingeführte Bankenabgabe oder die Transaktionssteuer streichen. Die dafür nötigen Reformen wären aber "nicht so populär". Da Reformen zur Sanierung der Staatsfinanzen versäumt wurden, werde wohl "mehr oder weniger alles beim Alten bleiben, was nicht besonders gut für die Wirtschaft ist". Auch die Sondersteuern werden wohl unverändert bleiben, so Richter. Für österreichische Firmen sei das Wahlergebnis ein "Meilenstein", sie müssten sich nun überlegen, wie sie in dem Land weitermachen.

Mit demokratie- und marktpolitisch bedenklichen Gesetzen hatte Orbans Regierung in den vergangenen Jahren wiederholt Besorgnis in der EU ausgelöst. So gab Orban der von ihm abhängigen Medienbehörde mehr Möglichkeiten zur Gängelung von Rundfunkanstalten. Die ungarische Notenbank ist faktisch nicht mehr unabhängig von der Regierung. Die neue Verfassung bindet künftigen Regierungen in der Steuer- und Pensionspolitik die Hände.

Das kontroverse Bodengesetz, das am 1. Mai in Kraft tritt, führte zu Irritationen mit Österreich. Demnach dürfen nur jene Personen Ackerland in Ungarn kaufen oder pachten, die sich hauptberuflich mit Landwirtschaft beschäftigen. Zu den Anforderungen gehört ein dreijähriger ständiger Aufenthalt in Ungarn, das Betreiben landwirtschaftlicher Tätigkeit, sowie Nachweis von einem seit mindestens einem Jahr versteuerten Einkommen. Bedingung für den Kauf ist weiter, dass das Bodennutzungsrecht aktiv ausgeübt werden muss und nicht an andere abgetreten werden darf. Das umstrittene Gesetz ermöglicht auch eine strafrechtlicher Verfolgung österreichischer Bauern, die Nutzungsvereinbarungen mit ungarischen Bodeneigentümern geschlossen haben. Solche Nutzungsverträge werden nun für ungültig erklärt, obwohl die österreichischen Bauern den Eignern die Miete im Voraus gezahlt haben. Bei unzulässigen "Taschenverträgen" wiederum handelt es sich laut ungarischer Regierung um Verträge, mit denen sich Ausländer - vor allem Österreicher - in den vergangenen zwei Jahrzehnten über ungarische "Strohmänner" landwirtschaftliche Nutzflächen sicherten.

Blaue Glückwünsche an Orban
Die FPÖ gratulierte Orban zum Wahlsieg, die ÖVP hofft nach dem Wahlkampf nun auf konstruktive Lösungen in bilateralen Auffassungsunterschieden, das Team Stronach befürchtet politischen und wirtschaftlichen Stillstand. SPÖ und Grüne äußerten sich kritisch zum neuen Wahlgesetz und besorgt über das Abschneiden von Jobbik.

Rund acht Millionen Ungarn waren am Sonntag zur Stimmabgabe aufgerufen. Um die 199 Sitze in der deutlich verkleinerten Volksvertretung hatten sich 18 landesweite Parteilisten und 1.554 Einzelkandidaten beworben. Erstmals waren auch rund 200.000 ethnische Ungarn aus den Nachbarländern wahlberechtigt. 90.000 von ihnen nahmen an der Wahl teil. 95 Prozent dieser Wähler stimmten für Fidesz, die ihnen vor drei Jahren die Annahme der ungarischen Staatsbürgerschaft ermöglichte, ohne dass sie dafür einen Wohnsitz in dem Land haben mussten.

OSZE moniert systematische Vorteile für Regierungspartei in Ungarn

Vorwurf: Fehlende "Trennung zwischen Partei und Staat" vor Parlamentswahl.
Nach der Parlamentswahl in Ungarn hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine systematische Benachteiligung der Opposition kritisiert. Die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz sei im Wahlkampf "von einer parteiischen Medienberichterstattung" und "verschwommenen Trennung zwischen Partei und Staat" begünstigt worden, so die OSZE-Wahlbeobachtermission am Montag.

Missionsleiter Adao Silva missbilligte dies ebenso wie die "rechtlichen Rahmenbedingungen" der Wahl. Grundsätzlich hätten die Ungarn aber durchaus "eine echte Wahl" gehabt und eine "transparente und effizient organisierte" Abstimmung erlebt.

Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen kam die Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban auf fast 45 Prozent und eine hauchdünne Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der sie das Land schon seit 2010 nach ihren Bedürfnissen umgestaltet. Das oppositionelle Linksbündnis von Spitzenkandidat Attila Mesterhazy kam auf etwa 26 Prozent der Stimmen. Die rechtsextreme Jobbik-Partei festigte mit einem Anteil von rund 21 Prozent ihre Stellung als drittstärkste Kraft.

Wegen einer von ihr durchgesetzten Wahlrechtsreform kann Fidesz mit überproportional vielen der 199 Parlamentssitze rechnen, deren Verteilung aber noch nicht endgültig feststeht. 106 Sitze wurden erstmals nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben, nur bei den übrigen 93 Sitzen kam es auf den landesweiten Stimmenanteil nach dem Verhältniswahlrecht an. Für den Gesamtsieger der Wahl gibt es zudem Bonus-Mandate. Den Zuschnitt der Wahlkreise hatte Orban zuungunsten der Opposition verändern lassen.

Mit seiner Zwei-Drittel-Mehrheit hatte Orban in den vergangenen vier Jahren rund 850 Gesetze durchs Parlament gepaukt und die Gewaltenteilung faktisch ausgehebelt: Fast alle Spitzenämter in Politik und Justiz wurden mit Getreuen besetzt, die Medien auf Regierungskurs getrimmt. Auch die siebenköpfige Wahlkommission besteht ausschließlich aus Fidesz-Mitgliedern.



 

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