EU warnt

Ungarns Parlament ändert Verfassung

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Für die Änderungen setzte es Kritik aus dem In- und Ausland.

Gegen Kritik und Widerstände aus dem In- und Ausland hat das ungarische Parlament am Montag weitreichende Verfassungsänderungen verabschiedet. Die Novelle beinhaltet unter anderen eine Beschneidung der Befugnisse des Verfassungsgerichts. Damit kann die Regierung künftig in die Tätigkeit der unabhängigen Justiz eingreifen. Die EU-Kommission übte scharfe Kritik an der Haltung der rechtskonservativen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban.

Proteste
Auf dem Budaer Burgberg vor dem Sitz des ungarischen Staatschefs Janos Ader demonstrierten in den Abendstunden Hunderte Bürger gegen die Verfassungsmodifizierung. Dabei wurde gefordert, Ader solle die 4. Modifizierung des Grundgesetzes nicht unterzeichnen. Redner kritisierten die Beschneidung der Rechte der Bürger, den Abbau der Demokratie. Peter Molnar, ehemaliges Gründungsmitglied der heutigen Regierungspartei Fidesz-MPSZ, ersuchte Ader, „die Ehre zuretten“. Auf Transparenten forderten die Teilnehmer der Demonstration eine „Würdige Verfassung“ und „Hände weg von unseren Rechten“, berichtet die Ungarische Nachrichtenagentur M T I am Montag.

"Diese Änderungen werfen Bedenken auf bezüglich des Respekts für das Rechtsstaatsprinzip, für das EU-Recht und die Standards des Europarates", schrieb Kommissionschef José Manuel Barroso am Montag in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland. Verfassungsexperten des Europarates und der EU-Kommission würden die beschlossenen Novellierungen jetzt genauer prüfen, hieß es in der Mitteilung.

Für die Vorlage stimmten die 265 Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten), was die nötige Zweidrittelmehrheit ergab. Elf Abgeordnete stimmten dagegen, 33 weitere enthielten sich der Stimme. Die Delegierten der oppositionellen Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) boykottierten das Votum.

Die Verfassungsänderungen hatten schon im Vorfeld wegen ihrer möglicherweise demokratieschädigenden Stoßrichtung in Ungarn für Proteste und Besorgnis im Ausland gesorgt. Eine Anti-Terror-Einheit nahm Montagmittag etwa 20 Schüler fest, die mit einer Sitzblockade einen Zugang zum Parlament blockiert hatten.

Die SPÖ-Europasprecherin Christine Muttonen kritisierte, dass sich mit der umstrittenen Änderung die "schrittweise Abkehr Ungarns von gemeinsamen europäischen Rechtsstandards" fortsetze. Sie bedeute eine "schleichende Abschaffung der Gewaltenteilung". Die EU-Kommission müsse nun entsprechende Maßnahmen ergreifen, so Muttonen.

Hannes Swoboda, Fraktionsführer der Sozialdemokraten im EU-Parlament, bedauerte den Beschluss der ungarischen Regierung "zutiefst". Die Veränderungen würden den fundamentalen Werten der EU direkt widerstreben. Trotz absoluter Mehrheit im Parlament verfüge die Regierung nicht über die Lizenz, Grundwerte von europäischen Bürgern zu ignorieren. Swoboda rief Ungarns Präsidenten Janos Ader in der Aussendung auf, die Verfassungsänderungen nicht zu unterzeichnen.

Orban verfolge das Ziel, all jene zu bestrafen, die nicht den Vorstellungen der Regierung entsprechen, wie Verfassungsrichter oder Studenten, betonte der MSZP-Vorsitzender Attila Mesterhazy. Weiters sei die Modifizierung eine neue Geste in Richtung rechtsradikaler Wähler. In Ungarn würde heute eine „parlamentarische Diktatur” aufgebaut, bei der der Wille eines einzigen Menschen, nämlich der von Premier Orban, zur Geltung käme, so Mesterhazy. Hinsichtlich der internationalen Kritik gegen die Verfassungsänderung betonte er, dass die Regierung die Europäische Union als „Feind” hingestellt und dabei die Prinzipien, Regeln der Union und die Besorgnisse Brüssels außer Acht gelassen habe. Die Modifizierung werde das Vertrauen der Investoren in Ungarn weiter schwächen.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle forderte die Einhaltung europäischer Grundwerte. "Wir sind in Europa eine Wertegemeinschaft. Und das muss sich auch nach innen in der Verfasstheit der Länder zeigen", sagte er am Montag vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel.

Die 4. Verfassungsnovelle ergänzt das erst seit Anfang 2012 geltende neue Grundgesetz. Unter anderen sieht sie vor, dass sich das Verfassungsgericht künftig nicht mehr auf seine Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der neuen Verfassung stützen darf. Kritiker befürchten eine Marginalisierung des obersten Gerichts, das sich zuletzt häufig auf seine frühere Grundrechte-Interpretation berufen hatte, wenn es demokratisch bedenkliche Gesetze außer Kraft setzte.

Darüber hinaus darf das Verfassungsgericht künftig vom Parlament beschlossene Änderungen der Verfassung nur noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, nicht aber inhaltlich prüfen. Eine weitere Bestimmung sieht vor, dass die Präsidentin des Nationalen Justizamtes - eine von Orban eingesetzte loyale Funktionärin - bestimmte Fälle bestimmten Gerichten zuweisen kann. Diese Regelung war auch von der EU-Kommission ausdrücklich kritisiert worden.

Andere Bestimmungen erheben Gesetze in den Verfassungsrang, die zuvor vom Verfassungsgericht gekippt wurden. Darunter fallen die willkürliche Zuteilung des Kirchenstatus durch die Regierungsmehrheit im Parlament und das Verbot von Wahlwerbung im privaten Fernsehen. Außerdem wird Obdachlosigkeit unter Strafe gestellt.

Ungarns Staatspräsident Janos Ader wurde am Montag zum Auftakt eines zweitägigen Deutschland-Besuchs in Berlin von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen. Ader kann die vom Parlament beschlossene Novelle theoretisch zur Prüfung an das Verfassungsgericht verweisen.

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