Er ist die Ikone des Ost-Aufbruchs, Symbol der Freiheit: Vaclav Havel, 75, Autor, Dissident, Tschechiens Präsident. Sonntag früh ist er gestorben.
„Er ist einfach eingeschlafen“, sagt seine Frau Dagmar, eine Schauspielerin. Sie war bei ihm, saß an seinem Bett im gemeinsamen Gut nahe dem ostböhmischen Ort Hradecek: „Er hat nicht leiden müssen.“
Havel war ein Mann mit Mut, eine moralische Autorität von Weltrang. Als 1968 der Prager Frühling niedergeschlagen wurde und Truppen des Warschauer Pakts in Prag die Panzer rollen ließen, war es der Schriftsteller, der öffentlich gegen das Regime auftrat. Damit wurde er zur Schlüsselfigur im gewaltlosen Kampf gegen das Regime, doch der Preis dafür war hoch: Er durfte in seiner Heimat nicht mehr publizieren, musste als Hilfsarbeiter schuften. Dreimal wurde er verhaftet, fünf Jahre saß er insgesamt im Gefängnis.
Im Westen ein Star, in seiner Heimat verfolgt
Havel wurde geschlagen, gedemütigt, doch brechen konnten die Kommunisten in der Tschechoslowakei (1948-1989) den Schriftsteller nicht. Im Westen wurden seine Stücke ausgezeichnet, Freunde wie Helmut Zilk und Erhard Busek (siehe Interview) halfen dem Dissidenten, ebenso der jetzige tschechische Außenminister Fürst Karl Schwarzenberg. Doch die feuchten Gefängniszellen haben ihn krank gemacht: chronische Bronchitis. Trotzdem blieb Havel ein Kettenraucher: 60 Zigaretten pro Tag.
1989, nach der friedlichen Revolution, spülten ihn die Rufe der Massen auf dem Prager Wenzelsplatz ins Präsidentenamt. Mit Anorak und speckiger Hose, der Kluft der Dissidenten, zog er auf dem Prager Hradschin ein, führte sein Land in die Freiheit. Vier Jahre war er Präsident der Tschechoslowakei. Nach der Abspaltung der Slowakei blieb er bis 2003 Tschechiens Staatschef.
Schon damals war er schwer krank: 1996 wurde Lungenkrebs diagnostiziert. Ein Teil seiner Lunge musste entfernt werden. 1998 brach er mit einem Herzinfarkt zusammen, Ärzte in Innsbruck retteten ihn. Havel: „Eigentlich wollte ich nie Politiker werden – nur Schreiben ist mein Lebensinhalt.“
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Der Dissident und Anführer des demokratischen Bürgerforums Havel verkündet im November 1989 Hunderttausenden Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz die Bildung einer neuen tschechoslowakischen Regierung, die den Weg in die Demokratie ebnen soll.
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Prag, 19. Dezember 1989: Václav Havel winkt seinen Anhängern von einem Balkon zu.
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Havel als Präsidentschaftskandidat im Dezember 1989.
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Václav Havel bei seiner Vereidigung als tschechoslowakischer Staatspräsident auf der Prager Burg am 29. Dezember 1989. Wenige Wochen zuvor saß Havel noch aus politischen Gründen im Gefängnis.
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Havel und der slowakische Dissident Alexander Dubček umarmen sich, nachdem die kommunistische tschechoslowakische Regierung am 24. November 1989 ihren Rücktritt erklärt hat.
Am 18. November 2005 verlieh Bundespräsident Heinz Fischer das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst an Václav Havel.
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Bei seinem Staatsbesuch in Prag traf Bundespräsident Heinz Fischer im Mai 2009 auch Ex-Präsident Havel.
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Havel und der langjährige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) im Dezember 1998 in Prag. Zlk hatte seinerzeit als ORF-Reporter vom Kampf der tschechischen Dissidenten gegen das kommunistische Regime berichtet.
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Österreichs damaliger Bundespräsident Thomas Klestil und Václav Havel im September 2001 in Wien.
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Zwei Ikonen des Widerstandes gegen den Kommunismus warten auf ihr Bier: Václav Havel und der Solidarność-Anführer und spätere polnische Präsident Lech Wałęsa im März 1998 einem Gasthaus in Warschau.
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Havel und der damalige italienische Premier Silvio Berlusconi im April 2002 in Rom.
Václav Havel und den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton verband eine langjährige Freundschaft.
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Havel und der damalige US-Präsident George W. Bush im Juli 2003 im Weißen Haus in Washington. Havel bekam von Bush die Freiheitsmedaille verliehen.
Havel und die britische Königin Elizabeth II.
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Havel und der ehemalige deutsche Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher im September 2009 im Berliner Friedrichstadtpalast. Havel bekam von Genscher den Medienpreis "Goldene Henne" verliehen.
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Havel empfing im Jahr 1997 Papst Johannes Paul II. als Staatsgast auf der Prager Burg.
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Mehrfach traf Havel mit dem Dalai Lama zusammen, für den er große Bewunderung empfand. Auf Havels besonderen Wunsch besuchte ihn der Dalai Lama noch wenige Tage vor seinem Tod in Tschechien.
Havel mit Mick Jagger und Keith Richards. Havel war begeisterter Fan von Rockmusik.
Václav Havel und seine zweite Frau Dagmar. Havel heiratete die Schauspielerin nach dem tragischen Krebstod seiner ersten Frau Olga im Jahr 1996.
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Havel mit seiner zweiten Ehefrau Dagmar nach der Stimmabgabe bei der Parlamentswahl im Juni 2006.
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Václav Havel als Regisseur bei den Dreharbeiten zu seinem Film "Abgang" im Sommer 2010.
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Havel bei einem TV-Interview während der Dreharbeiten zu seinem Film "Abgang".
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Havel bei der Premiere seines Films "Odcházení" ("Abgang") im März 2011 im Prager Lucerna-Kino. Der tschechische Ex-Präsident war bester Laune, aber schon sichtlich von seiner schweren Lungenkrankheit gezeichnet.
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Havel und seine Frau Dagmar bei der Premiere des Fils "Abgang" im März 2011.
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Havel erfreute sich als Politiker und Persönlichkeit höchster Beliebtheit in Tschechien. Hier spricht er im Oktober 2011 mit einer älteren Pragerin.
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Nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit zeigte sich Václav Havel im Oktober 2011 erstmals wieder in Prag der Öffentlichkeit, es sollte einer seiner letzten Auftritte vor seinem Tod sein.
Der ehemalige tschechische Staatspräsident und einstige Dissident Vaclav Havel ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Dies bestätigte sein ehemaliger Pressesprecher Ladislav Spacek gegenüber dem tschechischen Nachrichtenserver "iDnes" (www.idnes.cz) am Sonntag.
Der Gesundheitszustand Havels, der seit langem unter schweren Lungen-Problemen litt, hat sich in den vergangenen Monaten sichtbar verschlechtert. Schon im März, als er wieder krank wurde, reduzierte Havel sein Arbeitsprogramm und erholte sich die meiste Zeit in seinem Wochenendhaus auf dem Lande in Hradecek in der Nähe der nordtschechischen Stadt Trutnov (Trautenau) im Beisein seiner Ehefrau Dagmar Havlova und einer Krankenschwester.
Im Schlaf gestorben
Laut seiner Sekretärin Sabina Tancevova starb Havel am Sonntag früh im Schlaf. Der frühere Oppositionelle und Schriftsteller hatte Anfang Oktober seinen 75. Geburtstag gefeiert. An der Spitze des tschechoslowakischen bzw. tschechischen Staates stand er in den Jahren 1989 bis 2003 - mit einer mehrmonatigen Pause 1992/1993, als der gemeinsame föderative Staat der Tschechen und Slowaken zerfiel. 1996 war Havel ein bösartiger Tumor aus der Lunge entfernt worden.
Ein großer Mann
Nur zwei Monate nach seinem 75. Geburtstag ist der frühere Dissident und ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel am Sonntag früh im Schlaf gestorben. Seit mehreren Monaten war seine angeschlagene Gesundheit sichtbar. Nach einer neuerlichen Erkrankung der Atemwege Anfang 2011, mit denen der frühere Kettenraucher chronisch Probleme hatte, tauchte er nur mehr sehr selten in der Öffentlichkeit auf und beschränkte sein Arbeitsprogramm drastisch.
Als Havel dem derzeitigen Staatspräsidenten Vaclav Klaus im Juni schriftlich zu seinem 70. Geburtstag gratulierte, schrieb er unter anderem: "Heuer möchte ich Dir besonders Gesundheit wünschen. Glaub' mir, ich weiß, wovon ich rede." 1996 hatten Havel die Ärzte einen bösartigen Tumor aus der Lunge entfernt.
Für einen Termin nahm sich Havel aber doch Zeit - für die Premiere seines Films "Abgang" (auf Tschechisch "Odchazeni"), den er 2010 selbst als Regisseur, auf Basis seines gleichnamigen Theaterstücks in Szene setzte und sich damit einen alten Traum erfüllte. Die Kritiker warfen ihm zwar vor, das Theaterstück nicht an die Filmsprache angepasst zu haben, dies hielt ihn allerdings nicht von weiterer schöpferischer Arbeit ab.
Noch vor wenigen Tagen begrüßte er in Prag das Oberhaupt der Tibeter im Exil, den Dalai Lama. Dabei war Havel, der sich beim Gehen auf einen Stock stützte, sichtlich müde und abgemagert.
Ein weiteres Vorhaben schaffte Havel nicht mehr: "Schon ein bisschen im Kopf" hatte er die Idee für sein nächstes Theaterstück, das er noch schreiben und damit seine Literatur-Karriere beenden wollte. Über den Inhalt wollte er zunächst nicht sprechen. Nur den Titel verriet er: "Sanatorium". "Ich habe gern, wenn alles zusammen einen Sinn hat. Dem 'Abgang' folgt nur noch das 'Sanatorium'", sagte Havel.
An der Spitze des tschechoslowakischen bzw. tschechischen Staates stand er in den Jahren 1989 bis 2003 - mit einer mehrmonatigen Pause 1992/1993, als der gemeinsame föderative Staat der Tschechen und Slowaken zerfiel. Damals betrachtete er den Untergang der Tschechoslowakei als eine persönliche Niederlage, weil er sich als Staatsoberhaupt sehr für die Aufrechterhaltung des 1918 von seinem Idol Tomas Garrigue Masaryk gegründeten Staates einsetzte. Später korrigierte Havel jedoch seine Auffassung im Bezug auf die Teilung der Föderation. "Wie bizarr es auch immer passierte, ist es doch gut, dass es passierte", betonte er.
Auf die Prager Burg - den Sitz des Präsidenten - brachten Havel die Umbruchereignisse vom Herbst 1989. Noch im selben Jahr verbrachte er einige Monate im Gefängnis des kommunistischen Regimes. Im November 1989 wurde er zur Symbolfigur der "Samtenen Revolution", die er unter seinem Motto "Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lüge und Hass" zu einem siegreichen Ende führte.
Gegen den Kommunismus kämpfte der am 5. Oktober 1936 in eine bekannte Prager Unternehmerfamilie hineingeborene Havel Jahrzehnte lang. Wegen seiner "bourgeoisen Herkunft und Gesinnung" konnte er seine Studienpläne nicht verwirklichen, so dass er gezwungen war, eine Ausbildung als Chemielaborant zu beginnen. Sein ursprünglicher Wunsch, Geschichte und Philosophie zu studieren, scheiterte wiederholt an den ideologischen Hürden des Regimes.
Mit seiner Selbstverwirklichung begann Havel Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre in den Prager Theatern, wo er zunächst als Bühnenarbeiter und später auch als Schauspielautor tätig war. Nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 fiel er noch stärker in Ungnade. 1977 gehörte er zu den Gründern der Untergrundinitiative für Menschenrechte, "Charta 77", was ihn später für mehrere Jahre ins Gefängnis brachte. Seine literarischen Aktivitäten setzte Havel trotz des Verbotes seiner Stücke und eines Lebens als Hilfsarbeiter und Dissident bis 1989 fort.
Im Jänner 1996 starb seine erste Ehefrau Olga, die ihn in den schweren Jahren der Aufenthalte in kommunistischen Gefängnissen moralisch gestützt hatte. Anfang 1997 heiratete er überraschend die populäre und um 17 Jahre jüngere Schauspielerin Dagmar Veskrnova. Das neue Lebensbündnis ermunterte ihn psychisch so weit, dass er mit Dagmar an ein Kind dachte. Dieser Wunsch blieb jedoch unerfüllt.