Vor EURO 2012

Viele Ukrainer lässt Timoschenkos Leid kalt

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Vom Machtkampf der Polit-Elite will man sich Fußball-EM nicht vermiesen lassen.

"Seid nicht gleichgültig!", ruft die Tochter der in Haft erkrankten Oppositionspolitikern Julia Timoschenko (51) in einem dramatischen Appell ihren ukrainischen Landsleuten zu. Die 32-jährige Jewgenija Timoschenko, die ihrer Mutter äußerst ähnlich sieht, gewinnt zwar bisher viele westliche Politiker im Kampf um die Freilassung ihrer Mutter. Der Beistand zu Hause für die 2010 abgewählte Regierungschefin hält sich aber in Grenzen.

Ob der internationale Protest gegen Timoschenkos Haftbedingungen jetzt noch zur Absage der im Juni geplanten Fußball-Europameisterschaft führen könnte? Daran glaubt niemand in der Hauptstadt Kiew. Die Menschen denken an diesem sonnigen Maifeiertag lieber an Gartenarbeit als an die Politik.

"Vielleicht werden ein paar westliche Politiker wegbleiben. Aber das Turnier wird über die Bühne gehen", meint der 61-jährige frühere Fabrikarbeiter Wladimir Puryk in Kiew. Und Timoschenko? "Sie hat doch alles: Essen, Medizin, ausländische Ärzte, Heizung. Bei mir ist die ganze Rente schon für die Nebenkosten in meiner Wohnung weg."

Viele Menschen in der finanzschwachen Ex-Sowjetrepublik leben unter ärmlichsten Verhältnissen. Selbst in früheren politischen Stammregionen Timoschenkos sind ihre Landsleute nach chaotischen Jahren ihrer Regierung kaum noch gut zu sprechen auf sie. Seit Jahren sind die führenden Köpfe des Landes als kriminell verschrien.

Angesichts der in Straflagern verbreiteten schweren Krankheiten wie Tuberkulose und Aids halten viele Ukrainer Timoschenkos Probleme für Luxus. Verbreitet ist die Meinung, dass nicht nur Timoschenko hinter Gitter müsse, sondern auch ihr politischer Erzfeind, Präsident Viktor Janukowitsch, der bereits in seiner Jugend einmal im Gefängnis saß.

"Ich denke, dass Janukowitsch von Oligarchen kontrolliert wird. Politisch ist er ein Niemand", sagt der 25-Jährige Andrej Nasarenko in Kiew. Dass Janukowitsch seine willensstarke und prowestliche Widersacherin vor der Parlamentswahl im Oktober politisch kaltstellen will, daran hat niemand einen Zweifel.

Die Justiz hat gegen die im Vorjahr wegen Amtsmissbrauchs bereits zu sieben Jahren Haft verurteilte Timoschenko in einem weiteren Prozess wegen Steuerhinterziehung angeklagt. Das deutet nicht darauf hin, dass die Führung in Kiew sich den Forderungen des Westens nach einer Freilassung der Politikern beugt.

Gleichwohl gibt es zumindest die Chance, dass ein Berufungsgericht in der Ukraine bei einem für den 15. Mai angesetzten Termin das Urteil wegen Amtsmissbrauchs doch noch kassiert. Wohl auch deshalb ist der internationale Druck aktuell so groß.

Und wohl auch deshalb ruft Jewgenija Timoschenko ihr Landsleute auf, mit Protesten Druck auf die Führung auszuüben. Die junge Frau mit einem Londoner Studienabschluss hatte im vergangenen Jahr eigens den Namen ihres Mannes Sean Carr, eines Hardrock-Musikers, abgelegt. Mit dem Mädchennamen Timoschenko will sie überzeugender für ihre Mutter kämpfen können.

Im Land sind zwar vereinzelt Mitglieder von Timoschenkos Vaterlandspartei im Hungerstreik - aus Solidarität für die Inhaftierte, die nach Angaben ihrer Familie selbst seit dem 20. April keine Nahrung zu sich nimmt. In Lwiw im Westen des Landes - früher einmal Lemberg - musste ein Hungerstreikender am Dienstag wegen eines Schwächeanfalls ins Krankenhaus gebracht werden.

Dass es aber insgesamt an einer Welle der Entrüstung fehlt, erklären Beobachter vor allem mit einem Mangel an der Glaubwürdigkeit der Machtpolitikerin, die im Ruf steht, mit allen Wassern gewaschen zu sein. Weil keine unabhängigen Experten bisher Zugang zu Timoschenko hätten, seien an allen Informationen Zweifel angebracht, warnt die politische Wochenzeitung "Serkalo Nedeli".

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