Böses Erwachen

Warum Brexit-Boris nun neuer Ärger droht

13.12.2019

 Nach dem historischen Wahl-Sieg droht ein böses Erwachen. 

Zur Vollversion des Artikels
 
Zur Vollversion des Artikels
 "Boris, Boris, Boris" - mit Sprechchören wird der britische Premierminister Boris Johnson nach seinem Wahlsieg am Freitag von seinem Wahlkampfteam empfangen. Niemand könne mehr bestreiten, dass die Briten den Brexit endlich durchziehen wollten, ruft er. Es ist ein historischer Triumph für das "Enfant terrible" der britischen Politik.
 
Johnson hat offensichtlich mit seiner Brexit-Kampagne eine erhebliche Zahl seiner Landsleute für sich gewonnen - sie haben genug vom Gezerre um den EU-Austritt. Nun gibt es kein Zurück mehr: Mit seinem überwältigenden Sieg bei der Parlamentswahl am Donnerstag kann Johnson das Land am 31. Jänner 2020 zu den Bedingungen seines Austrittsabkommens aus der Europäischen Union führen. Er habe ein "machtvolles Mandat" dafür erhalten, sagte Johnson. Alle Tory-Kandidaten hatten sich dem Regierungschef zufolge bereits vor der Wahl dazu verpflichtet, den Brexit-Deal zu unterstützen.
 

Brexit noch lange nicht durch

Diesen historischen Sieg musste auch die Europäische Union am Freitag zur Kenntnis nehmen - und sie tat das leicht zähneknirschend und irgendwie demonstrativ desinteressiert. Wer noch Hoffnung auf ein "Brexit-Weihnachswunder" gehabt habe, der müsse jetzt erkennen, "dass dies nicht der Wunsch der Briten ist", meinte zum Beispiel der CSU-Europapolitiker Markus Ferber und sprach damit für viele: Ihr wolltet es so, bitteschön. Nur solle sich jetzt niemand Illusionen machen, dass die nächste Etappe leicht werde.
 
Bis Ende 2020 ein Handelsabkommen fertig zu bekommen, sei "enorm ehrgeizig", sagte auch der irische Ministerpräsident Leo Varadkar am Rande des EU-Gipfels. Soll heißen: Fast unmöglich. Die Vorgaben der EU für diesen Vertrag über die künftigen Beziehungen und die Ansagen von Premier Johnson passen nicht zusammen. Aber auch damit will sich offiziell jetzt noch niemand plagen. Die Briten sollten nun erstmal das fertige Austrittsabkommen ratifizieren, dann werde man weiter sehen, sagte EU-Ratschef Charles Michel. "Wir sind bereit."
 
Johnson setzte sich mit seiner Botschaft, den Brexit endlich durchzuziehen, vor allem in den Labour-Hochburgen in Nord- und Mittelengland durch. In den ehemaligen Industrie- und Bergbauregionen hatten sich die Menschen beim EU-Referendum 2016 mehrheitlich für den Brexit ausgesprochen - wohl aus Frust über den wirtschaftlichen Niedergang ihrer Heimat. Nahezu trostlos wirken viele Regionen hier. Sie bescherten Johnson nun den größten Wahlsieg seit den Zeiten der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher.
 

Johnson als Volkstribun

Konnten sich die Sozialdemokraten dort bei der vergangenen Wahl vor zwei Jahren noch behaupten, hat die Position im Brexit-Streit nun endgültig die traditionelle Parteibindung überlagert. Warum das Land die EU dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum noch immer nicht verlassen hatte, war den Menschen dort nicht mehr zu vermitteln. Angelastet haben das viele Jeremy Corbyn. Von dem Labour-Chef, der sich in Sachen Brexit nie richtig festlegen wollte, mussten sich Parteiaktivisten im Wahlkampf bei ihrem Gang von Haustür zu Haustür regelrecht distanzieren, um Wähler nicht zu vergraulen.
 
Johnson, dem es trotz seiner elitären Herkunft gelingt, den einfachen Mann anzusprechen, spielte erfolgreich die Rolle des Volkstribuns. Er lockte auch mit massiven Investitionen in den maroden Nationalen Gesundheitsdienst NHS, in Schulen und die Polizei und kündigte eine deutliche Abkehr von der Sparpolitik seiner Vorgänger an. Dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, verzeihen ihm die Wähler offenbar. Doch die Tories, eigentlich die Partei der Ober- und Mittelschicht, werden sich nun wandeln müssen, wollen sie die Erwartungen ihrer neuen Wähler nicht enttäuschen.
 
Das dürfte schwierig werden: Johnson steuert mit seinen Brexit-Plänen ein dereguliertes Wirtschaftsmodell nach US-Vorbild an. Mit US-Präsident Donald Trump will er rasch ein umfassendes Handelsabkommen schließen. Das dürfte nicht den Vorstellungen der Brexit-Wähler aus der Arbeiterschicht entsprechen.
 

Böses Erwachen

Zudem droht den Briten auch bald ein böses Erwachen: Denn aus der EU austreten und den Brexit erledigen - das sind zwei verschiedene Dinge, wie Politikwissenschaftler und Handelsexperten immer wieder betonen. "Das wird kein Ende des Prozesses, es wird der Anfang von Handelsgesprächen, die versprechen, lange, zäh und bitter zu werden", erläuterte Politikprofessor Anand Menon vom Londoner King's College kurz vor der Wahl in einem Video auf seinem Twitter-Account.
 
Tatsächlich regelt der "fantastische" und "ofenfertige" Brexit-Deal, wie Johnson gerne schwärmt, nichts anderes als den geordneten Austritt Großbritanniens und eine Übergangsphase bis Ende 2020. Sonst nichts. Wie das Land künftig mit seinen wichtigsten Partnern Handel treibt und zusammenarbeitet, ist nur in Grundzügen in einer unverbindlichen politischen Erklärung angerissen. Im Detail muss das im Laufe des kommenden Jahres geregelt werden.
 
Einerseits will er zoll- und abgabenfreien Handel mit der EU, auf der anderen Seite hält er nichts von einer engen Bindung an EU-Regeln, beispielsweise wenn es um Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und staatliche Wirtschaftsförderung geht. Beides, da sind sich Experten sicher, wird aber nicht zu haben sein.
 
Warum sollte Brüssel einem Handelspartner vor der eigenen Haustüre weitgehenden Zugang zum eigenen Markt geben, wenn der nicht garantiert, dass er sich an die Spielregeln eines fairen Wettbewerbs hält? Zudem entscheidet nicht Brüssel allein. Das Abkommen wird von allen 27 nationalen und womöglich auch einigen regionalen Parlamenten abgesegnet werden müssen.
 

Schotten fordern 2. Referendum

Ein Ausweg könnte eine Verlängerung der Übergangsfrist um bis zu zwei Jahre sein. In der Übergangsphase bleibt alles beim Alten, Großbritannien wird weiterhin EU-Regeln unterworfen sein, Beiträge zum Haushalt zahlen, aber kein Mitspracherecht in den Gremien der Staatengemeinschaft mehr haben. Die Verlängerungsoption ist aber nur bis Ende Juni verfügbar und es dürfte Johnson schwerfallen, nach all dem Getöse vom "Kettenabwerfen" und dem Rückgewinn der Souveränität diesen Weg zu gehen. Das bedeutet: Großbritannien drohen erhebliche Handelsbarrieren.
 
Und dann droht Johnson noch weiteres Ungemach: Das Vereinigte Königreich könnte nämlich auseinanderfallen. Bei der Wahl in Schottland räumte die Schottische Nationalpartei (SNP) ab. Regierungschefin Nicola Sturgeon will Schottland in der EU halten und noch einmal über die Unabhängigkeit abstimmen lassen.
Zur Vollversion des Artikels