Der US-Präsident ist angeschlagen und setzt nun alles auf eine Karte.
77 Tage ist US-Präsident Donald Trump im Amt - und schon greift er zur militärischen Option. US-Kriegsschiffe haben in der Nacht auf Freitag 59 Tomahawk-Raketen auf einen Stützpunkt der syrischen Luftwaffe nahe der Stadt Homs abgefeuert. Ein Vergeltungsakt für einen vor wenigen Tagen gestarteten Giftgasangriff, den die USA der Regierung von Bashar al-Assad zuschreiben.
Trump bezieht sich auf Gott
Die Attacke mit dem chemischen Kampfstoff Sarin soll von genau dem nun angegriffenen Stützpunkt aus geflogen worden sein. Trump setzt mit der Aktion, die er nach eigenen Angaben als Oberbefehlshaber der Armee selbst angeordnet hat, ein Zeichen. Der Einsatz von Giftgas bedrohe Interessen der nationalen Sicherheit der USA, erklärt der Präsident in dramatischem Tonfall. Vier Mal bezieht er sich in seinem kurzen Statement auf Gott. Das tun US-Präsidenten, wenn sie ihr Volk hinter eine Militäraktion bringen wollen. Kurz zuvor hat er mit Chinas Staatschef Xi Jinping noch über Handel und die Krise in Nordkorea diskutiert.
Von der Opposition kommt sogleich verhaltener Applaus. "Es ist richtig, sicherzustellen, dass Assad weiß, dass er einen Preis zahlen muss, wenn er solch verachtenswerte Akte vollzieht", heißt es in einem Statement des demokratischen Oppositionsführers im Senat, Charles Schumer. Trumps Umfragewerte, nach einem historischen Tief zuletzt praktisch im freien Fall, dürften profitieren. Amerika vereinigt sich im Fall militärischer Konflikte traditionell hinter seinem Anführer.
Hohes Risiko
Mit der Militäroperation in Syrien geht Trump aber auch ein hohes Risiko ein. Dass er den Kongress nicht im Voraus informiert, und damit nach Meinung einiger Experten und Demokraten einen Verfassungsbruch begangen haben könnte, ist das eine. Problematischer aber erscheint: Der Militärschlag, ausgeführt mit 59 Tomahawk-Raketen aus sicherer Entfernung im östlichen Mittelmeer, erfordert eine Folge-Strategie für die komplizierte Lage in Syrien, soll sie nicht als Einmal-Aktion verklingen.
Eine solche Strategie hat Trump noch immer nicht. Sein Aufruf an die zivilisierte Welt, sich den USA anzuschließen, klingt wie ein Hilferuf. Die Entsendung von Kampftruppen am Boden, etwa zur Durchsetzung von Sicherheitszonen, gilt in den USA als politisch kaum durchsetzbar. Seit Jahren warnen Diplomaten aus aller Welt: Die Syrien-Krise ist mit militärischen Mitteln nicht zu lösen. Zu komplex ist die Gemengelage, zu viele Nationen sind beteiligt, zu viele Interessen berührt.
Die potenzielle Tragweite der US-Aktion hingegen ist noch völlig unermesslich: Die USA riskieren mit der Aktion gegen Syrien nicht nur, ihre Handlungsspielräume für andere Krisen einzuengen. Sie nehmen auch die offene Konfrontation mit Russland in Kauf. Außenminister Rex Tillerson wirft Moskau noch in der Nacht Versagen im Kampf gegen syrische Kriegsverbrechen vor. Moskau habe entweder weggeschaut oder habe nicht die Fähigkeiten, wie zugesagt, gegen das Chemiewaffenprogramm Assads vorzugehen.
Moskau sieht das, wenig überraschend, völlig anders: "Alle Verantwortung bei einer militärischen Aktion liegt auf den Schultern von denen, die diese fragwürdige und tragische Unternehmung beginnen", sagt der stellvertretende russische UN-Botschafter Wladimir Safronkow vor Journalisten im UNO-Hauptquartier in New York.
Noch bis vor Kurzem hatte es den Anschein, als würde Trump in Sachen Syrien einen Kuschelkurs mit dem von ihm wiederholt hochgelobten Wladimir Putin anstreben, als würde der US-Präsident die Finger von dem Dauer-Krisenherd lassen wollen. Als Privatmann hatte er 2013 das Weiße Haus unter seinem Vorgänger Barack Obama noch davor gewarnt, sich erneut in einen Militärkonflikt im Nahen Osten ziehen zu lassen - nach einem noch deutlich folgenschwereren Giftgasangriff.
Als Bewerber und später als gewählter Präsident beteuerte er die Zeiten, in denen sich die USA als Weltpolizist aufspielen, sich in internationale Konflikte einmischen oder sogar Regierungswechsel vorantreiben, seien längst passé.
Auch noch vor weniger als einer Woche betonte Tillerson bei seinem Besuch in Ankara, das syrische Volk müsse Assads Zukunft bestimmen. Mit Hilfe Russlands solle die Syrien-Krise gelöst werden, Trump wolle sich lieber auf das Schaffen von Arbeitsplätzen zu Hause konzentrieren.
Doch es kommt völlig anders: Es gebe keine Rolle mehr für Assad in der Zukunft Syriens, sagt Tillerson schon vor dem Militärschlag am Donnerstag. Trump stimmt ein und orakelt: "Ich denke, er ist der, der die Dinge verantwortet, und ich denke, es sollte etwas passieren."
Wenige Stunden später passiert es. Das Pentagon veröffentlicht Videomaterial, wie zwei Zerstörer die Tomahawk-Raketen abfeuern. "Sie sind außergewöhnlich präzise", sagt der frühere Pentagon-Sprecher John Kirby beim Sender CNN. Nach syrischen Angaben gibt es bei der Operation Tote und Verletzte. Die syrische Seite spricht von "Verlusten". Russische Soldaten in der Gegend seien gewarnt worden, teilt das Pentagon mit. Wann Russland was wirklich wusste, gehört zu den vielen offenen Fragen nach der Aktion.