Anwalt kündigt Berufung an

"Welt"-Journalist Yücel in Türkei zu Haftstrafe verurteilt

16.07.2020

Das Urteil wurde in Yücels Abwesenheit gefällt. Der Journalist war nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Februar 2018 aus der Türkei ausgereist. 

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Ankara. Der "Welt"-Journalist Deniz Yücel ist in der Türkei wegen des umstrittenen Vorwurfs der "Terrorpropaganda" zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen verurteilt worden. Vom Vorwurf der "Volksverhetzung" wurde er hingegen freigesprochen, wie aus dem Gerichtsurteil in Istanbul vom Donnerstag hervorgeht, das der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. Yücel bezeichnete das Urteil in der "Welt" als "erbärmlich".
 
"Das ist ein politisches Urteil, wie die ganze Geschichte meiner Verhaftung politisch motiviert war", schrieb Yücel in einer ersten Reaktion in der Zeitung. Seine unrechtmäßige Verhaftung und der Versuch der Türkei, ihn als "Geisel" zu behandeln, seien "eine lange Kette von Staatskriminalität" gewesen. Weiter schrieb Yücel, er habe lediglich seine Arbeit als Journalist gemacht: "Daran bereue ich nichts. Und früher oder später wird ein Gericht das auch feststellen."
 
Menschenrechtsorganisationen und die deutsche Bundesregierung hatten das Verfahren gegen Yücel in der Vergangenheit bereits als politisch motiviert gewertet. Amnesty International in Deutschland übte nun Kritik an dem Schuldspruch in Istanbul. "Das heutige Urteil zeigt, dass es in den Beziehungen zur Türkei keine Rückkehr zur Normalität geben kann. Die Bundesregierung bleibt gefordert, die türkische Regierung in aller Deutlichkeit zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention aufzufordern", erklärte die Vizechefin der Menschenrechtsorganisation, Julia Duchrow.
 
Auch die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir reagierten bestürzt: "Das unfassbare Urteil gegen Deniz Yücel wurde allem Anschein nach im Präsidentenpalast getroffen und ist zugleich ein Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der ganzen Türkei", hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung.
 
Yücel arbeitete als Auslandskorrespondent für die "Welt" in der Türkei, bis er am 14. Februar 2017 wegen seiner Artikel festgenommen wurde. Die Vorwürfe gegen ihn bezogen sich unter anderem auf ein Interview Yücels mit einem Anführer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Der Journalist kam erst nach einem Jahr in Untersuchungshaft im Februar 2018 frei, er verließ daraufhin sofort die Türkei. Die Staatsanwaltschaft in Istanbul hatte bis zu 15 Jahre und drei Monate Haft gegen Yücel wegen "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda" gefordert.
 
Das umstrittene Verfahren, das in Abwesenheit von Yücel stattfand, hatte die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Yücels Inhaftierung damals einen "Skandal". Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete Yücel als eine "Geisel" des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der islamisch-konservative Staatschef hatte Yücel öffentlich einen "deutschen Agenten" genannt.
 
Yücels Verteidiger Veysel Ok hatte einen Freispruch gefordert und dabei auch auf die Entscheidung des türkischen Verfassungsgericht im Sommer 2019 hingewiesen. Das oberste Gericht der Türkei hatte damals Yücels Inhaftierung für rechtswidrig erklärt.
 
Yücel lebt in Deutschland und war dem Prozess ferngeblieben. Seit seiner Freilassung ist der Journalist nicht mehr in der Türkei gewesen.
 
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