Al Gore als Filmstar: Der Fast-US-Präsident steht im Zentrum der aufwühlenden Umwelt-Doku „Eine unbequeme Wahrheit“.
Seit seiner umstrittenen Niederlage im Präsidentschafts-Wahlkampf gegen George W. Bush (2000) betrachtet sich Al Gore als Recovering Politician, als Politiker auf Erholung also.
Gore, US-Vizepräsident (1993-2001) der Clinton-Ära, fand die Ökologie als neues Thema. Schon während seines Studiums hatte er sich mit Umwelt-Fragen beschäftigt. Seit 2000 hielt er mehr als 1000 Mal und rund um die Welt einen Multimedia-Vortrag, der nun zum Filmthema wurde. Eine unbequeme Wahrheit befasst sich mit der globalen Erwärmung und der drohenden Klimakatastrophe.
Al Gore sprach im ÖSTERREICH-Exklusivinterview über Gefahren und Chancen bei der Bekämpfung des Klima-Problems, über eine mögliche Rückkehr in die Politik und über den Film.
ÖSTERREICH: In „Eine unbequeme Wahrheit“ schildern Sie sehr drastisch
den Zustand einer Welt in Gefahr. Wie sieht Ihr Worst-Case-Szenario aus?
GORE: Ich möchte vorausschicken, dass ich Optimist bin und daran glaube,
dass wir die Krise beheben können. Doch wenn wir nichts tun, dann werden die
Temperaturen weiter ansteigen. Die Folge: Das Eis schmilzt, tropische
Krankheiten stoßen in die gemäßigten Zonen vor, Stürme, Dürre- und
Flutkatastrophen werden schlimmer. Die Zukunft der Zivilisation stünde auf
dem Spiel.
ÖSTERREICH: Worauf beruht Ihr Optimismus, die Entwicklung stoppen zu
können?
GORE: Wir Menschen sind komplexe Kreaturen mit einem
reichen evolutionären Erbe. Wir reagieren besser auf archaische Katastrophen
– Feuer, Wasser, Gewalt – als auf Krisen, die nur durch abstraktes Denken
erklärlich werden. Sobald wir aber eine Situation verstehen, können wir sehr
schnell handeln. Unser politisches System hat eine Gemeinsamkeit mit dem
Klima. Beide verlaufen nicht linear. Wird ein Wendepunkt erreicht, kann aus
einer langsamen Bewegung plötzlich viel Tempo entstehen. Ich glaube, wir
sind sehr nahe an diesem Wendepunkt. Zwei Beispiele aus meinem Land:
Kalifornien hat verpflichtende Maßnahmen zur CO2-Reduktion beschlossen. 305
US-Städte haben auf eigene Initiative das Kyoto-Protokoll unterschrieben.
ÖSTERREICH: Die US-Regierung ist aber weiter gegen die Kyoto-Verträge.
GORE:
Das ist sehr kurzsichtig. Die Führung der USA hat die Bürger in den
vergangenen Jahren in die falsche Richtung gelenkt. Es gibt das Argument,
Restriktionen bei Emissionen wären gleichzusetzen mit einem Verlust von
Freiheit. Das ist natürlich kompletter Unsinn. Ich hoffe sehr, dass
Präsident Bush seine Meinung noch ändern wird, bevor er das Amt verlässt.
Selbst wenn das nicht geschieht, wird sich die US-Umweltpolitik unter dem
nächsten Präsidenten ändern. Ganz egal, von welcher Partei er kommt.
ÖSTERREICH: Warum glauben Sie das?
GORE: Es gibt einen
gravierenden Umschwung in der öffentlichen Meinung. Durch Katastrophen wie
den Hurricane Katrina wurden vielen Bürgern die Augen für Umweltthemen
geöffnet. Jetzt geben sie diesen Druck an die Politiker weiter.
ÖSTERREICH: Warum wählten Sie für Ihre Umwelt-Anliegen die Form des Films
GORE: Ein Film erreicht das Publikum wie kein anderes Medium. Die große
Leinwand, das Gemeinschaftserlebnis im Saal – das hat große Kraft und Magie.
Es war aber nicht meine Idee, einen Film aus meiner Multimediashow zu
machen. Ich war zunächst skeptisch, weil ich befürchtete, der
wissenschaftliche Aspekt könnte im Film zu kurz kommen, aber ich bin froh,
dass ich mich überzeugen ließ. Regisseur Davis Guggenheim machte einen
großartigen Job.
ÖSTERREICH: So ernst das Thema ist – der Film hat auch Unterhaltungswert.
GORE: Diesen Kommentar habe ich schon oft gehört. In der Mundpropaganda
heißt es dann, man lernt alles, was man über die Klimakrise wissen muss,
aber man wird auch unterhalten und ist manchmal sogar amüsiert.
ÖSTERREICH: Sind Ökonomie und Ökologie Antipoden?
GORE:
Nein. Viele Firmen erzielen hohe Gewinne, indem sie neue Technologien
entwickeln, welche die Umweltbelastung verringern. Andere Firmen, die immer
für die geringsten Umweltstandards eintraten, wie etwa General Motors, sind
hingegen nun tief in der Krise.
ÖSTERREICH: Hätten Sie als US-Präsident Ihre Umweltpolitik durchsetzen
können?
GORE: Ja – aber nur, falls der Kongress zustimmt. Ich
habe im Zug meiner politischen Laufbahn viele Jahre versucht, den Kongress
von Umwelt-Vorlagen zu überzeugen. Diese Erfahrung führte zur Entscheidung,
mich darauf zu konzentrieren, erst eine Änderung des Bewusstseins der
Menschen anzustreben.
ÖSTERREICH: Ist es vorstellbar, dass Sie noch einmal für das Amt des
US-Präsidenten kandidieren?
GORE: Ich habe keine Pläne in diese
Richtung und erwarte nicht, noch einmal ein Kandidat zu sein. Ich habe es
nicht komplett ausgeschlossen, in Zukunft noch einmal politisch aktiv zu
werden, aber ich bezweifle, dass das jemals gesehen wird.
ÖSTERREICH: Wie ist denn das Gefühl, seit dem Wahlkampf gegen Bush ein
Politiker auf Erholung zu sein?
GORE: Ich mache langsam
Fortschritte. Am Anfang war es sehr hart. Als ich das Weiße Haus verließ,
hatte ich 24 Jahre in öffentlichen Ämtern hinter mir, und natürlich
vermisste ich Einiges - vor allem die Möglichkeit, die Politik zu
beeinflussen.
ÖSTERREICH: Erlebten Sie den Verlust der Wahl auch als Chance?
GORE: Um Churchill zu zitieren: Wenn dieses Unglück auch ein Segen war, dann
hat sich der Segen verdammt gut versteckt.
Pünktlich zum Kino-Start von "Eine unbequeme Wahrheit" ist im Riemann-Verlag Al Gores gleichnamiges Buch erschienen (20,60 Euro). Auf mehr als 300 Seiten fasst der Autor seine wissenschaftlich untermauerten Thesen zum Themenkreis Globale Erwärmung/Klimakrise zusammen. Das Werk, das mit zahlreichen Bildern und Grafiken illustriert ist, fand viel Anklang: " Aufwühlend", schrieb die Washington Post.