Kölner Hauseinsturz
Böll- und Adenauer-Nachlass verloren
05.03.2009
Der Schaden nach dem Einsturz des Historischen Archivs in Köln geht in die Millionen. Nachlässe von Böll, Adenauer und Offenbach sind verloren.
Unikate aus dem Mittelalter, Handschriften mit kaiserlichem Siegel, einzigartige Schreinsbücher und 800 Nachlässe von berühmten Komponisten, Architekten, Literaten - Schätze aus tausend Jahren liegen unter Trümmern begraben. Eine der größten und bedeutendsten Archiv-Sammlungen in Europa, gelagert auf 30 Regalkilometern im Historischen Archiv in Köln, ist untergegangen. Experten sprachen am Mittwoch von einem Kulturgut von unschätzbarem Wert, das nach dem Gebäude-Einsturz möglicherweise zu größeren Teilen nicht mehr zu retten und zu rekonstruieren sei. "Das Archiv gehörte in Umfang und Breite zu den ganz großen und bedeutenden Stadtarchiven und hat besonders wertvolle, hochrangige Bestände", sagt Robert Kretschmar, Vorsitzender des Verbands deutscher Archivare.
"Die Schäden werden gigantisch sein", meint Archiv-Leiterin Bettina Schmidt-Czaia geschockt. "Ich glaube, außerhalb des Zweiten Weltkriegs hat es das noch nie gegeben, dass ein so bedeutendes Archiv komplett untergegangen ist." 2004 hatte die Historikerin die Leitung des größten kommunalen Archivs nördlich der Alpen übernommen und geschwärmt von einem Bestände-Reichtum und Überlieferungswert, der in Deutschland unübertroffen sei. Nun ringt Schmidt-Czaia um Fassung: "Wir versuchen zu bergen und zu retten, was zu retten ist, aber ich habe nicht viel Hoffnung, es wird wohl eher minimal sein." Dagegen sind der Kulturstaatssekretär von Nordrhein-Westfalen, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, und der Kölner Kulturdezernent Georg Quander optimistischer.
Böll-Nachlass
Erschütterung dürfte auch bei der Familie
des Nobelpreisträgers Heinrich Böll (1917-1958) herrschen. Erst vor einigen
Wochen hatte Sohn René Böll das Privatarchiv seines Vater verkauft und damit
den gesamten Böll-Nachlass dem Historischen Archiv anvertraut. Es falle ihm
schwer sich zu trennen, aber die Lagerungsmöglichkeiten seien im Archiv eben
besser. "Wir können die Sachen ja auch mal ausleihen", hatte
René Böll sich zu trösten versucht. Ob das noch möglich ist, konnte am Tag
nach dem Unglück allerdings niemand sagen.
Offenbach und Adenauer-Archiv verloren
Aber auch Nachlässe
anderer Größen von Weltrang wie des Komponisten Jacques Offenbach oder des
ersten Bundeskanzlers und einstigen Kölner Oberbürgermeisters Konrad
Adenauer sind vielleicht für immer verloren. Dessen gleichnamiger Enkel ist
entsetzt: "Der ganze Nachlass aus der Kölner Zeit bis 1945 lagerte
dort. Für unsere Familie und die Stadt Köln ist das ein ganz schwerer
Verlust." Dokumente aus der Zeit Adenauers als Bundeskanzler seien aber
in Rhöndorf bei Bonn in Sicherheit. Zugleich kritisierte Notar Adenauer in
Richtung Stadt: "Es muss ein Versagen vorliegen. Es gab genug
Anzeichen, und der Einsturz hätte sicher vermieden werden können. Wenn man
einen solchen Schatz hütet, ist es unverantwortlich, dessen Sicherheit auf
die leichte Schulter zu nehmen."
Weltberühmt sind auch die sogenannten Schreinsbücher. Diese gelten als einzigartig und unersetzbar, erklärt Kretschmar. "Das ist ein Häuser-Verzeichnis aus dem Mittelalter, alles Unikate, die so kostbar waren, dass sie in Schreinen aufbewahrt wurden." Dokumente aus Klöstern und Stiften gehörten ebenfalls zum Stolz des Archivs, genauso wie die älteste Urkunde aus dem Jahr 922. Wertvolle historische Urkunden könnten laut Grosse-Brockhoff wohl weitgehend geborgen werden.
400 Millionen Euro Schaden
Archivalien im Versicherungswert von
400 Millionen Euro liegen im Schutt, sagt Quander. Dramatischer sei aber der
geistige Verlust, der sogar schlimmer ausfallen könne als beim Brand der
Anna-Amalia-Bibliothek. Die größte Gefahr für den verschütteten Kulturschatz
ist nun Wasser von oben und von unten. Um die zerbrechlichen Papiere vor
Regen zu schützen, soll eine Plastikpläne über den Trümmern ausgebreitet
werden. Manuskripte, Fotos oder Urkunden, die in den Krater vor dem Gebäude
gestürzt sind, hat das Grundwasser aber wohl schon unwiederbringlich
zerstört für die Nachwelt. Ein schneller Tiefkühlprozess könnte laut Quander
noch Abhilfe schaffen - aber am Tag danach kommt noch niemand an die
gefährlichen Stellen heran.
Fotos: (c) AP