ÖSTERREICH-Reporter Herbert Bauernebel in der Cholera-Hölle.
Im General Hospital, gleich hinter dem noch immer komplett zerstörten Kuppelbau des Präsidentenpalastes von Port-au-Prince, reißt der Strom der Cholera-Kranken nicht ab. "Durchfalls-Abteilung“ steht groß auf einem der Spitals-Gebäude. Das Areal ist mit dicken Gitterstäben und blauen Planen verriegelt. Drinnen hängen die Patienten am Tropf – Kinder, Alte, Frauen, Männer, die Seuche trifft jeden. Ein alter Mann steht am Gang. Sein Körper ist von der Durchfalls-Erkrankung Cholera radikal entwässert. Er gleicht nur mehr einem Schatten, die dünnen Beine können ihn kaum noch tragen. Ein Helfer stützt ihn, ein anderer hält die Infusions-Flasche. Durst, Schmerzen, dann der Schock – Cholera! Angst und Sorge steht auch Marie Eve (30) ins Gesicht geschrieben: Sie bettelt die Wachebeamten am Stahltor des Cholera-Flügels an. Sie will schnell hinein zu ihrem Sohn Gerson (7). Am Abend zuvor hatte es begonnen: "Er übergab sich“, sagt sie, "dann Durchfall, entsetzliche Schmerzen.“ Sie wusste sofort: Cholera! Im Spital betete sie die ganze Nacht, während dem Buben mit Infusionen die verlorene Flüssigkeit zugeführt wurde.
Cholera in Haiti - 1.100 Tote klagen an
Nach Horrorbeben: keine Hygiene, totes Wasser
Vor allem die katastrophalen hygienischen Zustände in Haiti seit dem Erdbeben im Jänner 2010 sind die Zeitbombe beim Cholera-Ausbruch: "Wir haben alle Angst“, sagt Madelaine Lubin (40), deren Mann beim Beben starb und die mit ihren vier Kindern seit elf Monaten in einem winzigen Zelt haust. Im Radio hörte sie, dass sie sich die Hände waschen sollten. Ein Witz angesichts der Zustände in diesem Camp: Im Fluss schwimmt der Müll, bestialischer Gestank steigt auf. Viele entleeren sich weiter im Flussbett. Die Exkremente der Cholera-Kranken verseuchen das Wasser. An diesem Ort ist die Ansteckungs-Gefahr am größten.
Wütende Proteste gegen Regierung und UNO
Selbst den stoischen Haitianern reißt der Geduldsfaden angesichts der mangelnden Hilfe: Ins Visier der Demonstranten gerät neben der Regierung verstärkt auch die UNO. Im Norden des Landes gibt es Aufstände gegen die Blauhelme, jetzt schwappten sie auf Port-au-Prince über. Im Slum Cité Soleil brannten am Donnerstag Barrikaden, UN-Soldaten wurden mit Steinen beworfen, feuerten Tränengas zurück: "Viele Haitianer denken, dass Hilfsorganisationen mit ihrem Leid Spenden sammeln – während das Verrecken hier weitergeht.“ Der Vorwurf scheint ungerecht: Allein Ärzte ohne Grenzen betreibt 21 Cholera-Zentren, rettete über 16.000 Menschen. "Oft entscheiden wenige Stunden, ob Cholera-Opfer überleben“, sagt US-Helferin Laura Brown (32): "Durch den rapiden Flüssigkeitsverlust magern die Patienten fast zu Skeletten ab – bis zu 20 Liter Flüssigkeit musste in einige gepumpt werden.“ Doch oft kommen sie zu spät, oder es fehlt an Betten oder intravenösen Tröpfen. "Ein Kind starb in meinen Armen“, senkt sie den Kopf. Und kein Ende ist in Sicht.