Sterbehilfe
Entscheidende Wende im Fall Eluana Englaro
03.02.2009
Die Frau, die seit 17 Jahren im Koma liegt, wurde in eine Privatklinik verlegt - in drei Tagen will man mit dem Aussetzen der Ernährung beginnen.
Im Sterbehilfe-Streit um die seit 17 Jahren im Koma liegende Italienerin Eluana Englaro ist es am Dienstag zu einer entscheidenden Wende gekommen. Die Familie der 38-Jährigen überführte die Frau von dem Krankenhaus in der lombardischen Stadt Lecco, in der sich Eluana seit Jahren befindet, in die Privatklinik "La Quiete" in Udine, Heimatstadt des Vaters der Patientin. Die Privatklinik hat sich bereiterklärt, Eluana Englaro aufzunehmen, um sie mit der Aussetzung der künstlichen Ernährung in den Tod zu begleiten. Schon in drei Tagen wollen die Ärzte mit der Aussetzung der Ernährung beginnen. Sie wollen sich dabei strikt an ein medizinisches Protokoll halten, das mit der Familie Englaro vereinbart wurde.
Katholiken demonstrierten vor Spital
Vor der Abreise Eluanas kam
es zu gespannten Momenten. Dutzende Anhänger katholischer Verbände, die sich
gegen die Sterbehilfe einsetzen, versammelten sich vor dem Krankenhaus in
Lecco. Sie versuchten, die Abfahrt des Krankenwagens mit der Frau an Bord zu
verhindern. "Eluana soll leben!", betonten die Demonstranten. In
der Klinik "La Quiete" befindet sich Eluana in einem Zimmer, das
von privaten Wächter kontrolliert wird.
Eluanas Vater, Foto: (c) AP
Sozialminister hatte Sterbehilfe verboten
Englaro war 1992 nach
einem Autounfall ins Koma gefallen und ist seitdem nicht wieder aufgewacht.
Ihr Fall bewegt ganz Italien. Die Privatklinik in Udine hatte sich
bereiterklärt, Eluana aufzunehmen, obwohl Sozialminister Maurizio Sacconi
allen italienischen Spitälern die Einstellung der künstlichen Nahrungszufuhr
für die Frau verboten hatte. Sacconi stellte sich damit gegen ein Urteil des
Kassationsgerichts, das dem Vater Eluanas im vergangenen November das Recht
zugesprochen hatte, die künstliche Ernährung für seine Tochter einstellen zu
lassen. "Wir überprüfen die Situation, wir werden sehen, was man
unternehmen kann", sagte Sacconi nach der Einlieferung Eluanas in die
Privatklinik in Udine.
Vatikan protestiert gegen "schrecklichen Tod"
Der
Vatikan protestierte heftig gegen die Überführung Eluanas in die
Privatklinik, in der sie sterben soll. Die von den Richtern gebilligte
Einstellung der künstlichen Ernährung für Eluana widerspreche dem
Tötungsverbot, erklärte der Präsident des Päpstlichen Rats für
Krankenpastoral, Kardinal Javier Lozano Barragan. In einer solchen Situation
Nahrung und Flüssigkeit zu verweigern hieße, einen Menschen "durch
Hunger und Durst zu einem schrecklichen Tod zu verurteilen". "Man
muss die Hand des Mörders stoppen", appellierte Barragan. Der
Erzbischof von Udine, Pietro Brollo, meinte, zum ersten Mal seit 1948 werde
in Italien wieder ein Mensch hingerichtet.
Italien gespalten
Die italienische Politik ist gespalten in Bezug
auf das Schicksal der Koma-Patientin Eluana Englaro, die in einer
Privatklinik in Udine sterben soll, weil die künstliche Ernährung auf Wunsch
der Familie abgebrochen werden soll. Zwischen Katholiken und Laizisten hat
sich zuletzt ein tiefer Graben aufgetan.
Staatspräsident Giorgio Napolitano appellierte an das Parlament in Rom, so rasch wie möglich klare gesetzliche Regelungen für Patientenverfügungen zu verabschieden. Ein solches Gesetz könne nicht mehr hinausgeschoben werden, sagte Napolitano. Vize-Gesundheitsministerin Eugenia Roccella meinte, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung für Eluana in einer italienischen Klinik mit den Pflichten des nationalen Gesundheitssystems unverträglich sei. "Wir werden uns über die Klinik in Udine informieren, in der sich Eluana befindet, und dafür sorgen, dass die Regeln des italienischen Gesundheitssystems berücksichtigt werden", sagte Roccella.
Für Aufregung sorgte auch der konservative Präsident der Abgeordnetenkammer Gianfranco Fini, der zum Respekt für die Familie Englaro aufrief. "Ich selber habe keine feste Meinung zum heiklen Thema der Sterbehilfe, beneide jedoch diejenigen, die sich sicher sind, wie man in diesem Fall zu handeln hat. Ich selbst habe nur Zweifel. Ich glaube, dass nur Eluanas Eltern die Antwort in diesem Fall geben können. Und ich verspüre die Pflicht, diese Meinung zu respektieren", erklärte Fini.
Facebook-Diskussionen
Die Debatte tobt auch in der
Internet-Plattform Facebook. Über 100 Diskussionsgruppen befassen sich mit
dem Fall Eluana. Cirka die Hälfte davon appellieren, "Eluanas Willen" zu
respektieren. Die anderen rufen zu Initiativen zur Rettung des Lebens der
Frau auf.