Immer wieder Wunder
Fünfjähriger auf Haiti geborgen
21.01.2010
Trotz einiger Lichtblicke sehen Ärzte schwarz: Sie befürchten den Ausbruch von Seuchen.
Mehr als eine Woche nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti werden immer noch Überlebende in den Trümmern gefunden. Am Mittwoch (Ortszeit) wurde ein fünfjähriger Bub nahezu unverletzt gerettet. Ärzte befürchten unterdessen, dass die Zahl der Toten bei Ausbruch von Seuchen rasant steigen könnte. Grund ist vor allem die schlechte sanitäre Situation in den Lagern, in denen die Zigtausenden Obdachlosen Unterschlupf gefunden haben.
Glücklicher Zufall
Der Fünfjährige wurde eher durch Zufall
in den Trümmern eines Hauses in der Hauptstadt Port-au-Prince gefunden. Er
leidet an Austrocknung, ist aber sonst unverletzt. Ein Onkel des Buben
berichtete, Verwandte hätten einen Toten aus den Trümmern bergen wollen, als
plötzlich jemanden gerufen habe: "Hier bin ich, hier bin ich!"
Die Hoffnung, weitere Überbebende in den Trümmern eingestürzter Gebäude zu
finden, schwand jedoch immer mehr, wenngleich die vielen internationalen
Rettungsteams auch in der Nacht auf Donnerstag die Suche mit Spürhunden und
Detektoren fortsetzten. Unterdessen
ziehen sich die ersten Rettungstrupps bereits wieder zurück.
Bisher konnten mehr als 120 Überlebende geborgen werden.
Starkes Nachbeben
Ein
starkes Nachbeben hatte Mittwoch früh (Ortszeit) die Menschen im
Katastrophengebiet in Panik versetzt. Tausende rannten schreiend ins
Freie, zahlreiche zerstörte Gebäude stürzten endgültig ein. Bei dem
Hauptbeben in der vergangenen Woche der Stärke 7,0 kamen nach
Regierungsangaben bis zu 200.000 Menschen ums Leben, rund 250.000 wurden
verletzt, zwei Millionen obdachlos.
Weitere Massengräber
Nördlich von Port-au-Prince wurden mit
Bulldozern weitere Massengräber ausgehoben, in denen 10.000 Tote am Tag
beigesetzt werden sollten. Viele der Arbeiter dort sind inzwischen
traumatisiert. "Ich habe so viele Kinder gesehen, so viele Kinder. Ich
kann nachts nicht mehr schlafen. Und wenn ich es kann, dann habe ich
Alpträume", sagt der 38-jährige Foultone Fequiert. "Allein
gestern sind 10.000 Leichen angekommen." Zeit für religiöse Zeremonien
gibt es nicht.
(c) Getty
In den Krankenhäusern hat sich für Behandlungen ein Rückstau von bis zu zwölf Tage gebildet, sagten Ärzte. Die unbehandelten Wunden der zahllosen Verletzten schwärten unterdessen weiter. Die nächste große Gefahr sei, dass sich Krankheiten und Seuchen in den überfüllten Lagern, in denen es nur wenige oder gar keine sanitären Einrichtungen gebe, unter den Hunderttausenden Überlebenden ausbreiteten, erklärte Greg Elder, der stellvertretende örtliche Leiter von Ärzte ohne Grenzen.
Flüchtlinge nach Guantanamo?
Die USA bereiten ihren
Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba für einen möglichen Ansturm
haitianischer Flüchtlinge vor. Auf dem Gelände wurden etwa 100 Zelte für
jeweils zehn Personen errichtet, so Konteradmiral Thomas Copeman. Sollten
Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Haiti tatsächlich massenweise ihr
Land verlassen, stünden mehr als 1.000 weitere Zelte zur Verfügung.
Auch Feldbetten und andere Dinge seien für den Notfall gelagert, erklärte Copeman. Der Admiral ist Befehlshaber der Sondereinheit, die für das umstrittene US-Gefangenenlager für Terrorverdächtige auf dem Marinestützpunkt zuständig ist. Die Flüchtlinge aus Haiti würden allerdings getrennt von den noch rund 200 Lagerinsassen untergebracht werden. Das Gefangenenlager und das Auffanglager für Flüchtlinge liegen etwa vier Kilometer auseinander. Anfang der 1990er Jahre waren bereits tausende Bootsflüchtlinge aus Haiti vorübergehend auf dem Stützpunkt Guantanamo untergebracht worden.