Fläche so groß wie Krems verseucht. ÖSTERREICH-Reporterin vor Ort.
Verlassene Häuser, Menschen in Schutzanzügen und ein beißender Gestank: Schon zehn Opfer starben in der stinkenden Giftbrühe in Ungarn. Eine ÖSTERREICH-Reporterin war im Zentrum der Umweltkatastrophe.
Gift-Schlamm machte Orte zu Geisterstädten
Lokalaugenschein im westungarischen Ort Devecser, etwa 60 Kilometer Luftlinie von der österreichischen Grenze entfernt – dort, wo vor vier Tagen ein Giftschlammbecken einer Aluminiumfabrik brach. Bei der Einfahrt bietet sich uns ein gespenstisches Bild: Der Boden ist mit rotem Schlamm bedeckt, alles ist verwüstet, Autos liegen übereinander.
Die Umweltkatastrophe hatte am Montag im Nebenort Ajka ihren Lauf genommen. Eine Million Kubikmeter giftiger Bauxitschlamm ergoss sich in einen Hochwasser führenden Bach – die rote Brühe wälzte sich durch mehrere Dörfer und Kleinstädte, schwappte in Wohnungen und Häuser.
Kaum fahren wir in den Ort ein, steigt uns schon ein beißender Geruch in die Nase, im Mund sammelt sich ein seltsamer metallener Geschmack.
Die Häuser sind verschlossen, an den Mauern sieht man, dass der ätzende Schlamm bis zu eineinhalb Metern hoch gewesen sein muss. Polizisten mit Maschinengewehren patrouillieren. Sie sollen Plünderer abschrecken. Soldaten in ABC-Anzügen und Feuerwehrleute versuchen, den Schlamm aus den Häusern abzupumpen.
Stimmung wie in einem Science-Fiction-Film
Die Bewohner haben ihre Häuser verlassen. 90 Prozent von ihnen können und wollen auch nicht mehr zurück. Manche sind zurückgekommen, um ein paar ihrer Habseligkeiten zu holen. Sie stehen hüfthoch im Schlamm. Nur wenige tragen Schutzmasken. Die Bewohner sind ratlos, fühlen sich im Stich gelassen.
Verzweifelte versuchen, den Schlamm aus ihren Häusern zu entfernen, wie Laszlo Czenki (35): "Alles ist kaputt. Ich habe mein Haus, mein Auto verloren." Der Mann deutet auf die Wände im Inneren seines Hauses: "Eineinhalb Meter stand hier der Schlamm."
Ein paar Meter weit von seinem Haus liegt die Volksschule von Devecser. Das Gebäude ist geschlossen, davor treffen wir Livia Becsi, eine Lehrerin.
Sie ist hier, um den Helfern Schaufeln und Trinkwasser zu bringen: "Die Schule ist zu, wir wissen nicht, wie es weitergeht", erzählt Livia unter Tränen. An einer Tankstelle am Ortsende werden die ausfahrenden Autos notdürftig mit Wasser abgespritzt, um eine weitere Verbreitung des Rotschlamms zu verhindern.
Ein Trupp sucht mit langen Eisenstangen nach weiteren Toten. Bis zu sechs Menschen gelten als vermisst. Damit könnte die Anzahl der Opfer auf bis zu zehn steigen.
D. Knob, Devecser, Ungarn
Giftschlamm erreicht Donau und Raab
Die Umweltkatastrophe hat inzwischen die Donau und die Raab erreicht. Bei Messungen am Zusammenfluss von Raab und Donau sei ein leicht erhöhter Laugengehalt festgestellt worden, sagte ein Vertreter der Wasserbehörde. Normalerweise liege der Wert bei acht Prozent, die Messungen hätten Werte um neun Prozent ergeben. Das Ökosystem des zweitlängsten Flusses Europas sei gefährdet.
Alarm bei uns!
Sogar Radioaktivität wurde entdeckt. Laut Experten könnte die Umweltkatastrophe nach Österreich überschwappen.
(c) TZ Österreich
Der Rotschlamm, ein Überbleibsel aus der Aluminiumgewinnung, enthält toxische Stoffe wie Blei, Kadmium, Arsen und Chrom. Laut WWF ist das ausgeflossene Material sogar "leicht radioaktiv", weshalb man rund 600 Tonnen Gips zur Bindung in den Fluss geschüttet hat. Die Langzeitfolgen für die Menschen sind unabsehbar, denn einzelne Stoffe seien krebserregend.
Osten
Jetzt schlagen Experten Alarm: Bei entsprechender Wetterlage könnte die kontaminierte Luft auch zu uns kommen. Martin Piringer, Umweltmeteorologe bei der ZAMG: "Wenn der Staub trocknet und die giftigen Inhaltsstoffe gebunden bleiben, wäre es bei entsprechender Strömung denkbar, dass der Staub zu uns kommt."
Wir haben allerdings Glück mit der Jahreszeit: "Im Winter sind die Transportwege kürzer, weil die Teilchen dann durch die fehlende Wärme eher in tieferen Schichten bleiben", so Piringer weiter.
Auch die EU befürchtet Schäden über die Grenzen Ungarns hinaus.