Nach 16 Monaten Geiselhaft im Gazastreifen findet Ohad Ben Ami tatsächlich die Kraft, seinen Töchtern entgegenzulaufen.
Es ist ein Wiedersehen mit Lachen und Weinen im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv. Sogar Witze macht Ben Ami, der neben der israelischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat.
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"Papa, bist Du es wirklich?" fragt eine seiner Töchter und reißt die Augen weit auf. "Ich kann es nicht glauben, dass Du hier bist." - "Ja, ich bin da", antwortet Ben Ami und umarmt seine Liebsten, die voller Sorge auf ihn gewartet haben. "Habt Ihr gesehen? Ich bin als XXL gegangen und komme als Medium zurück", scherzt er und macht sich aus der kollektiven Familienumarmung frei, um seinen abgemagerten Bauch und seinen von der Geiselhaft gezeichneten Körper vorzuführen.
Die Wiedervereinigung der Familie Ben Ami findet weit weg von den Augen der Öffentlichkeit und den Medien statt. Es gibt nur ein paar von der israelischen Regierung veröffentlichte Aufnahmen. Sie stehen in starkem Kontrast zu den Bildern vom Vormittag in Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens. Dort wurde der Deutsch-Israeli von Kämpfern der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf einer Bühne vorgeführt, das Gesicht ernst und abgemagert, mit kurzem, weißem Bart. An seiner Seite zwei weitere Geiseln, genauso blass wie er: Eli Sharabi, 52 Jahre alt, und Or Levy, 34 Jahre alt. Alle drei kamen im Zuge eines weiteren Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der Hamas frei.
Ohad Ben Amis Töchter entgingen Hamas-Terroristen
Der Mittfünfziger Ben Ami sieht seine Ehefrau Raz Ben Ami zum ersten Mal auf einer Militärbasis wieder. Seines T-Shirts mit der Aufschrift "Gefangener der Hamas" entledigt und frisch rasiert, tritt er mit einem entzückten und ungläubigen Lächeln in den Saal, in dem ihn seine drei Töchter und seine Mutter erwarten. Sie lachen und weinen, und in dem Getümmel ertönt ein "Was für ein schöner Bub Du bist!". Nun geht es darum, all die versäumten Stunden und Tage aufzuholen. Ben Ami erfährt, dass eine seiner Töchter gerade den Militärdienst absolviert. "Ich bin stolz auf Dich", sagt er ihr.
Ben Ami erzählt von "dem Tunnel", in dem er eingesperrt war. "Es sind so viele Dinge offen und ich brauche Antworten. Viele, viele Antworten. Und ich weiß, dass einige sehr schwer zu hören sein werden", aber "ich muss wissen, was an jenem Tag passiert ist", sagt Ben Ami über den 7. Oktober 2023, als die Hamas ihren beispiellosen Großangriff auf Israel verübte. Auch körperlich muss Ben Ami sich anstrengen, um wieder richtig fit zu werden. "Ohad ist in einem schlimmen Ernährungszustand zurückgekommen und hat erheblich an Gewicht verloren", aber "sein Geist hat sich als widerstandsfähig erwiesen", sagt Gil Fire, der stellvertretende Leiter des Ichilov-Krankenhauses, nach einer ersten Untersuchung.
Ben Ami und seine Frau Raz waren bei dem Überfall der Hamas auf Israel vor 16 Monaten beide aus ihrem Haus im Kibbuz Beeri in der Nähe des Gazastreifens entführt worden. Zwei ihrer Töchter, die an dem Tag bei ihnen waren, überlebten den Angriff, ohne entführt zu werden. Raz kam am 29. November 2023 während der ersten Waffenruhe frei und kehrte nach Israel zurück.
Andere Ex-Geiseln verloren ihre Liebsten
Eli Sharabi hat nicht das Glück eines solchen Wiedersehens. Er war ebenfalls zuhause, als die Hamas sein Haus im Kibbuz Beeri stürmte. Die bewaffneten Männer erschossen zunächst den Hund der Familie, dann Sharabis Frau und seine beiden Töchter im Teenageralter. Wahrscheinlich wusste er davon nichts im Augenblick seiner Freilassung. Sharabi wird im Sheba-Krankenhaus in Ramat Gan von seinen beiden Schwestern und seinem Bruder in Empfang genommen - sein Bruder mit einem Talith, dem jüdischen Gebetsschal, wie auf von der Regierung veröffentlichten Bildern zu sehen ist.
Gedämpft fällt auch das Wiedersehen von Or Levy mit seinen Angehörigen aus, mit langen Umarmungen und Tränen. Er war am 7. Oktober 2023 mit seiner Frau Einav Levy auf dem Nova-Musikfestival, wo die Hamas das schlimmste Massaker verübte. Er wurde als Geisel genommen, sie wurde ermordet.