Nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO am Donnerstag die zweithöchste Pandemie-Warnstufe auf der sechsteiligen Alarmskala ausgerufen hat, ist die Zahl der Schweinegrippe-Erkrankten bis in die Abendstunden nur um einige Fälle angestiegen.
Das EU-Seuchenkontrollzentrum (ECDC) berichtete über 206 Infektionen, 28 davon entfielen auf Länder in Europa. In Österreich blieb es bei einer Erkrankten, alle anderen 18 Proben von möglicherweise Erkrankten erwiesen sich als negativ, so das Gesundheitsministerium. Weitere Verdachtsfälle gebe es derzeit nicht.
Wienerin genest
Angst muss laut dem Wiener Sozialmediziner
Michael Kunze derzeit niemand haben: "Von der klinischen Symptomatik ist das
keine 'aufregende' Influenza", betonte er. Der im Wiener Kaiser Franz
Josef-Spital behandelten infizierten Österreicherin geht es gesundheitlich
auch bereits wieder relativ gut. Entlassen wird die 28-Jährige aber erst
nach mehreren negativen Viren-Proben.
Erste Ansteckung in Peru
Zu den betroffenen Ländern zählen
außerdem die USA (91), Mexiko (49), Kanada (19), Neuseeland (14), Israel
(zwei) und Costa Rica (zwei). Bisher gab es acht Todesfälle in Mexiko sowie
einen in den USA (Texas), dort starb ein 23 Monate altes Baby.
Warnstufe 5
Die Ausrufung der Warnstufe 5 (WHO-Skala) "bedeutet
für Österreich, dass sich an der Situation für die Menschen nichts geändert
hat", betonte Gesundheitsminister Alois Stöger (S) vor einem Sondertreffen
mit seinen EU-Ressortkollegen in Luxemburg. Die Behörden würden nun aber
ihre Maßnahmen intensivieren. Dazu gehört auch eine neue Verordnung, die
Fluglinien zur Weitergabe von Daten über Reisende verpflichtete.
Voraussetzung ist ein Aufenthalt in jenen Gebieten, in denen die neue
Influenza-Welle entstanden ist.
Pharma-Unternehmen aktiv
Ob die pharmazeutischen Unternehmen
wirklich einen neuen Impfstoff herstellen liegt nicht in der Hand
Österreichs. Stöger: "Die Entscheidung trifft die WHO ab der Phase 6 auf der
Pandemie-Skala." Klar ist, dass weltweit bei den Unternehmen bereits
Vorarbeiten für diesen Fall laufen, um möglichst schnell reagieren zu
können. Österreich hat bei Baxter für den Fall einer Influenza-Pandemie
mindestens 16 Millionen Dosen einer neu zu produzierenden Vakzine
vorbestellt.
Pandemie "unvermeidlich"
Eine Pandemie sei de facto "unvermeidlich",
betonte Angus Nicoll, Chef des ECDC-Influenza-Programms. Entscheidend sei
die Schwere der Erkrankungen. Alles sei möglich, doch: "Im
Vergleich zu der Influenza in den Jahren 1918/1919 schaut es nicht so
schlecht aus. Das ist die Situation im derzeitigen Moment. Aber man muss
auch sagen, dass jedes Jahr in der EU rund 40.000 Menschen an der
(saisonalen, Anm.) Influenza sterben."
Wenig neue Erkrankungen
Die weltweite Zahl der Erkrankungen ist
von Mittwoch auf Donnerstag nur wenig gestiegen. Das Europäische Zentrum für
Krankheitskontrolle (ECDC) in Stockholm berichtete am späten Nachmittag über
eine Zunahme von 174 (Stand Vormittag) auf 206 Infektionen. Davon entfielen
178 auf Länder außerhalb Europas.
- Spanien (13 Fälle)
- Großbritannien (acht, davon drei nach neuen nationalen Angaben)
- Österreich (ein Fall)
- Frankreich (ein Fall, noch nicht endgültig bestätigt)
- Niederlande (ein Fall)
- Schweiz (ein Fall)
- USA (109, ein Todesfall)
- Mexiko (49)
- Kanada (19)
- Neuseeland (14)
- Israel (zwei)
- Costa Rica (zwei)
Außerhalb Europas gab es am Donnerstag in Peru die erste Ansteckung mit dem Virus H1N1.
Virus erreicht Washington
Die grassierende Schweinegrippe hat
offenbar nun auch die US-Hauptstadt erreicht. Wie die Weltbank am Donnerstag
mitteilte, war einer der Mitarbeiter ihres Hauptquartier in Washington nach
einer vorläufigen Diagnose daran erkrankt. Er sei inzwischen aber wieder
genesen. Die Zahl der bestätigten Fälle in den USA stieg derweil nach
Angaben der US-Seuchenkontrollbehörde CDC auf mindestens 109, darunter auch
ein Todesfall.
Der Weltbank-Mitarbeiter sei zuvor auf Dienstreise in Mexiko gewesen und habe sich unmittelbar vor der Erkrankung in der Weltbank aufgehalten. Alle Beschäftigten, die dem Mitarbeiter nahe kamen, seien aufgefordert worden, daheimzubleiben.
Weitere Tote befürchtet
Die US-Behörden rechnen nach dem
ersten Todesfall durch die grassierende Schweinegrippe mit noch weiteren
Erkrankungen mit tödlichem Ausgang. Man erwarte "ein breites
Spektrum" von milden bis hin zu lebensgefährlichen Infektionen, sagte
der amtierende Chef der US-Seuchenbehörde CDC, Richard Besser, am
Donnerstag.
Keulung von Schweinen in Ägypten
Trotz internationaler
Kritik hat die ägyptische Regierung wegen der Schweinegrippe mit dem Keulen
von Schweinen begonnen. Wie ein Regierungssprecher am Donnerstag mitteilte,
handelt es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme. Die Behörden wollten damit
eine schnelle Verbreitung des Virus verhindern.
Die Vereinten Nationen haben scharfe Kritik am Vorgehen der Regierung geäußert. Aus ihrer Sicht ist das Töten von bis zu 400.000 Schweinen "ein großer Fehler", da der neue Virus-Stamm, eine Mischung aus Schweine-, Vogel- und Menschenviren, noch nicht in Schweinen nachgewiesen wurde.
Automatisch
Die bisher erfolgte Erhöhung der Warnstufe von 3 bis
vor wenigen Tagen auf 4 war Konsequenz des Ausbruchs der Schweinegrippe bzw.
der mexikanischen Grippe in Mexiko und den USA gewesen. Die Erhöhung der
Warnstufe auf 5 ("Größere Ausbrüche, Übertragung Mensch-zu-Mensch
bleibt lokal begrenzt") erfolgte, nachdem Mensch-zu-Mensch-Infektionen
in zwei Staaten einer WHO-Region - eben in den USA und in Mexiko -
registriert worden waren. Angus Nicoll vom ECDC bei der Pressekonferenz
Donnerstagabend in Stockholm: "Das ist eine automatische Reaktion."
Bisher sei der genannte Fall in Mexiko und zwischen wenigen Personen in den
USA eingetreten, "nirgends sonst".
EU-Gesundheitsminister uneins
Die Gesundheitsminister der 27
EU-Staaten scheinen im Umgang mit der Schweinegrippe keine einheitliche
Linie zu finden. Bei einem Krisentreffen der Minister am Donnerstag in
Luxemburg wiesen Deutschland und eine Reihe weiterer Mitgliedstaaten die
Forderung Frankreichs nach einem Flugverbot nach Mexiko zurück. Auch Italien
erntete mit seinem Vorschlag einer gemeinsamen Beschaffung und
Vorratshaltung von Anti-Grippe-Medikamenten und eines eventuellen
Impfstoffes Ablehnung.
Nach EU-Regelwerk eingeordnet
Die EU-Kommission hat jedoch
einheitliche Definitionen zum Schweinevirus verabschiedet. Anhand der Regeln
soll abgeglichen werden, wann es sich um untersuchte Fälle, Verdachtsfälle
sowie aus dem Labor bestätigte Erkrankungsfälle handelt.
"Auf diese Weise haben wir eine effiziente Aufstellung aller Informationen über das Virus auf europäischer Ebene, damit wir sicherstellen, dass wir alle über die gleichen Dinge sprechen." Das teilte EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou am Donnerstag in Brüssel mit.