Die 650 Kilometer lange Mauer in Israel soll eigentlich der Sicherheit dienen. Doch entpuppt sie sich auch als reger Drogenumschlagplatz.
Ein verstohlener Blick über die Schulter - keine Polizei da. Rasch taucht der Mann seine Hand in ein Loch in der Mauer, zieht ein Paket heraus und verschwindet. Sechs Meter ist der so genannte Schutzwall hoch, den Israel an der Grenze zu den Palästinensergebieten gebaut hat. Eine 650 Kilometer lange Mauer aus Beton, gesichert durch Stacheldraht und elektrische Zäune, dazu gemacht, palästinensische Dörfer von jüdischen Siedlungen und Städten zu trennen und potenziellen Attentätern den Eintritt nach Israel zu verwehren.
Drogenpakete
Menschen kommen hier nicht durch. Aber Drogen.
Ausgerechnet entlang einer der bestgesicherten Grenzen der Welt hat sich ein
schwungvoller Handel mit Rauschgift jeder Art entwickelt. Denn die Mauer
enthält Löcher. Eigentlich soll hierdurch nur der Regen abfließen.
Tatsächlich sind die Lücken gerade groß genug für eine Hand - und kleine
Drogenpakete.
"Junge Palästinenser nehmen Ecstasy oder LSD, aber auch Haschisch und Marihuana", sagt ein 36-jähriger palästinensischer Schmuggler, der sich Zoher nennt. Der Stoff werde direkt vor den Schulen verkauft, und das Geschäft laufe immer besser. Umgekehrt funktioniert der Drogentransfer übrigens auch: Der 40-jährige Palästinenser Eid berichtet, er habe sich auf die Modedroge Crystal Meth spezialisiert und verkaufe diese vor allem an wohlhabende Israelis.
Verglichen mit Israel und anderen Nachbarländern gibt es in den Palästinensergebieten bisher wenig Probleme mit Rauschgift. Im vergangenen Jahr ging die Polizei ganze 416 Mal gegen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. In den meisten Fällen ertappten die Beamten lediglich Gelegenheitsnutzer, daneben gingen noch zehn Dealer und rund ein dutzend Menschen ins Netz, die Cannabis und Co. angebaut hatten.
Synthetische Stoffe im Vormarsch
"Der Drogenhandel ist hier
weniger entwickelt als in den meisten westlichen Ländern", sagt auch Colin
Smith, Leiter der EU-Polizeimission in den Palästinensergebieten. "Deshalb
haben wir jetzt die Gelegenheit, das Problem anzupacken, statt noch fünf
Jahre zu warten, bis es viel größer ist." Generell würden bisher wenig
Drogen konsumiert. "Aber der Handel mit synthetischen Stoffen hat sich
mittlerweile ziemlich stark ausgebreitet", warnt Smith.
Aus Ägypten, Jordanien und dem Libanon gelangt der Stoff nach Israel und in die Palästinensergebiete, wie der Chef der palästinensischen Drogenbekämpfung im Westjordanland, Fadel al-Alul, sagt. Hauptumschlagplatz sei Jerusalem, und häufig hätten die Schmuggler kein Problem damit, ihre Ware direkt neben den israelischen Straßensperren über die Grenze zu bringen. "Wir können sie nicht festnehmen, weil diese Dealer in den israelisch kontrollierten Gebieten leben, sagt Alul. Außerdem sei die Polizeiarbeit zwischen Israelis und Palästinensern viel zu schlecht koordiniert.
Briefkästen als Zwischenlager
EU-Polizeichef Smith dagegen
sagt, die israelische und die palästinensische Polizei arbeiteten immer
häufiger zusammen, um den Schmuggel nicht nur von Drogen, sondern auch von
Autos zu unterbinden. Und auch die Polizei betont, sie unternehme "jede
erdenkliche Anstrengung im Kampf gegen die Drogen". Im vergangenen Jahr
seien zwei Tonnen Marihuana, eine Tonne Haschisch, 136 Kilogramm Heroin, 36
Kilogramm Kokain und große Mengen Ecstasy und LSD beschlagnahmt worden, wie
eine Sprecherin sagt.
Die Schmuggler stört das bisher wenig. Die palästinensische Abgeordnete Jihad Abu Sneid von der Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sagt, sie kenne allein in Ost-Jerusalem vier Schmuggellöcher in der Mauer. Der Wall sei aber bei weitem "nicht der einzige Weg für den Drogenhandel", sagt Dealer Zoher. Manchmal würden auch einfache Briefkästen als Zwischenlager genutzt.