Beim ORF
Kampusch-Interview in voller Länge
16.11.2009
Das Kampusch-Interview in voller Länge zum Nachlesen.
Die wichtigsten Passagen aus dem Interview
ORF-Thema, Christoph Feurstein: Frau Kampusch, schön, dass sie zu uns
gekommen sind. Sie scheinen beim Staatsanwalt ja einige Missverständnisse
ausgeräumt zu haben. Wie haben Sie denn die Einvernahme als Zeugin erlebt.
KAMPUSCH:
Es was sehr strapaziös, es war sehr anstrengend da es zweimal acht Stunden
waren. Einmal in Graz, einmal in Wien und ich bin froh, dass einige
Missverständnisse ausgeräumt werden konnten.
Thema: Was sagen Sie denn zu den Ermittlungen prinzipiell? Machen diese für
Sie Sinn?
KAMPUSCH: Natürlich machen sie Sinn, da ich auch an der
Aufklärung interessiert bin.
Thema: Es wurde immer wieder gesagt, dass in verschiedenen Aussagen von
Ihnen wieder Widersprüche aufgetaucht seien. Wie gehen Sie mit diesen
Widersprüchen um, die an Sie herangetragen werden?
KAMPUSCH: Für
mich sind das keine Widersprüche, sondern Missverständnisse, da jeder die
Dinge etwas anders sieht und anders interpretiert, aber ich denke, es
konnten alle ausgeräumt werden.
Thema: Es wird gegen Herrn H. als Mitwisser wegen Freiheitsentziehung
ermittelt. Kommt Herr H. – der beste Freund von Wolfgang Priklopil – für Sie
als Zweittäter infrage?
KAMPUSCH: Diese Frage kann ich Ihnen so
nicht beantworten. Das werden die Ergebnisse der Ermittlungen zeigen.
Thema: Sie haben ihn jedenfalls nicht als Mittäter wahrgenommen?
KAMPUSCH:
Ich habe ihn nie als Mittäter wahrgenommen. Ich habe ihn ja erst gegen Ende
meiner Gefangenschaft kennengelernt, indem ich ihn einmal begrüßte und
später dann wiedersah.
Thema: In welchem Zusammenhang war denn das, wie Sie ihn getroffen haben.
Weil das wird oft angezweifelt. Es heißt oft, Sie hätten ihn mehrfach
getroffen.
KAMPUSCH: Also das war so: Ich habe ihn damals 2006, als der
Täter mich langsam in ein normales Leben integrieren wollte, getroffen. Das
war eine kurze Begegnung. Es hat einmal zu einem Händereichen, für einen
kurzen Handgruß gereicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich habe ihn da
zum ersten Mal gesehen.
Thema: Als wen hat ihn Herr Priklopil damals vorgestellt?
KAMPUSCH: Als
seinen Nachbarn.
Thema: Die Kommission um Ludwig Adamovich hat angezweifelt, dass Wolfgang
Priklopil ein Einzeltäter war.
KAMPUSCH: Ich weiß es nicht. Ich
weiß nicht, ob es noch einen Täter gab oder nicht. Meiner Meinung nach wird
das nie so richtig aufgeklärt werden können. Ich habe nur Priklopil gesehen.
Thema: Die einzige Zeugin, die es gibt: Das war damals dieses zwölfjährige
Mädchen, das immer noch behauptet, es hätte zwei Personen gesehen. Sie
sagen: Priklopil war allein. Wie erklären Sie sich diese Differenz?
KAMPUSCH:
Keine Ahnung. Ich kann mir das nicht erklären. Am Anfang dachte ich, dass
sie sich verschaut hat. Aber wenn sie jetzt beinhart darauf besteht. Ich
habe nur einen Täter gesehen und wurde auch nur von einem Täter gekidnappt.
Thema: Im Zuge der Ermittlungen hat es sogar geheißen, Sie hätten bei Herrn
H. als Kellnerin gearbeitet.
KAMPUSCH: Das stimmt nun überhaupt nicht,
da ich bis zu meiner Flucht eingesperrt und kaserniert war. Mich Priklopil
bei jedem Schritt und Tritt bewachte und ich keine Minute ohne ihn war und
er keine Minute ohne mich.
Thema: Warum war es Ihnen wichtig, nach Ihrer Flucht Kontakt zu Herrn H.
herzustellen?
KAMPUSCH: Ja, ich wollte für mich persönlich wissen, wer
das überhaupt ist, wie er denkt, ob er Mittäter sein könnte. Ich wollte ihm
in die Augen schauen, um herauszufinden, ob er Mittäter sein könnte.
Thema: War es für Sie auch wichtig, einem Menschen zu begegnen, der Wolfgang
Priklopil aus der Außensicht kennt.
KAMPUSCH: Es war natürlich auch
sehr spannend zu sehen, wie er das all die Jahre gegenüber anderen
dargestellt hat.
Thema: Viele sind ja auch irritiert, dass Sie sich immer wieder im Haus von
Wolfgang Priklopil aufhalten. Das Haus gehört nun ja Ihnen. Eine Zeitschrift
hat sogar geschrieben, dass Sie dort einziehen wollen.
KAMPUSCH: Das ist
natürlich absoluter Humbug. Ich war z. B. einmal in Strasshof einkaufen,
weil ich auf der Durchreise war, und da hat eine Frau mich herzlich in
Strasshof willkommen geheißen. Ich ziehe dort garantiert nicht ein. Ich
musste auch in letzter Zeit öfter dorthin, da z. B. der Wasserzähler
ausgewechselt werden musste. Ich bin sehr ungern dort. Ich bin nur dort für
administrative Zwecke.
Thema: Was ist das für ein Gefühl, in das Haus zu gehen?
KAMPUSCH:
Es ist meistens sehr unangenehm.
Thema: Sie haben ja auch das Auto von Wolfgang Priklopil gekauft oder
ausgelöst?
KAMPUSCH: Ausgelöst aus der Verlassenschaft.
Thema: Warum war Ihnen das wichtig?
KAMPUSCH: Das war mir deshalb
wichtig, da ich zu Beginn die Befürchtung hatte, dass verrückte,
ausländische, reiche Menschen sich das kaufen, weil sie den Priklopil
bewundern.
Thema: Von Anfang an halten sich Gerüchte, dass es pornografische Videos
geben soll, auf denen Sie und zwei Männer zu sehen sind. Einer der Männer,
die das behaupten – und zwar schon seit 2006 – ist der deutsche Grafiker
Thomas Vogel. Seine Festplatten sind ja auch im Zuge der Ermittlungen
beschlagnahmt worden. Was sagen Sie zu diesen Videos?
KAMPUSCH: Die gibt
es nicht.
Thema: Sie haben nie mit zwei Männern im Verlies?
KAMPUSCH: Nein,
da war immer nur ein Täter.
Thema: Herr Vogel sagt auch, also derselbe Mann behauptet, Sie hätten sich
mit Herrn Priklopil ausgemacht, dass Sie bis zum 18. Lebensjahr bei ihm
bleiben und dann würden Sie wieder zurück in die Welt kommen.
KAMPUSCH:
Nein, ich habe mir mit mir selber ausgemacht, dass ich von meiner Mutter mit
18 ausziehe. Ich habe mir nie mit dem Priklopil ausgemacht, dass ich bei ihm
quasi ausziehe oder weglaufe, wenn ich 18 bin. Das ist eine
Fehlinterpretation von Sachen, die ich früher gesagt habe.
Thema: Und Wolfgang Priklopil hat sich dann ja auch umgebracht.
KAMPUSCH:
Ja.
Thema: Was ja auch gegen so eine Abmachung spricht.
KAMPUSCH: Ja.
Thema: Ludwig Adamovich hält es für möglich, dass Sie vielleicht mit
irgendwelchem für Sie unangenehmen Material erpresst werden. Was sagen Sie
dazu?
KAMPUSCH: Ich werde nicht erpresst.
Thema: Ludwig Adamovich hat auch gesagt: Die Zeit der Gefangenschaft wäre
womöglich besser gewesen als das, was sie zuvor erlebt haben. Was sagen Sie
zu so einer Aussage?
KAMPUSCH: Darüber bin ich natürlich sehr empört.
Ich verstehe nicht, wie sich außen stehende Menschen – wer auch immer sie
sein mögen – so etwas anmaßen können. Das ist für mich unverständlich.
Thema: Das richtet sich ja auch ein bisschen gegen Ihre Mutter. Es hören ja
auch die Vorwürfe nicht auf. In Zeitungen ist auch heute noch zu lesen, sie
sei sogar an der Entführung beteiligt gewesen.
KAMPUSCH: Das ist
das Zweite, das ich überhaupt nicht verstehen kann. Meine Mutter würde so
etwas nie tun. Sie würde niemals ihr Kind verkaufen, entführen lassen oder
einsperren. Sie würde so etwas nie zulassen. Und ich finde es total empörend
und unglaublich, dass Menschen so etwas behaupten können, obwohl sie sie
nicht wirklich kennen.
Thema: Es fiel auch einmal die Aussage, dass Sie sich als Opfer so untypisch
verhalten. Was tun Sie mit so einer Aussage?
KAMPUSCH: Also ich bin
schon Opfer. Verbrechensopfer. Aber ich darf trotzdem so leben, wie ich
möchte und wie ich mir das vorgenommen hatte, bevor ich gekidnappt wurde.
Ich werde das auch tun.
Thema: Wolfgang Priklopil ist jetzt seit drei Jahren tot, Ihre Flucht ist
erst drei Jahre her – es war Ihnen damals auch wichtig, sich von ihm zu
verabschieden, um abschließen zu können. Wie sehen Sie Wolfgang Priklopil
und diese achteinhalb Jahre, die Sie da in der Gefangenschaft verbracht
haben, heute?
KAMPUSCH: Das war meine Kindheit, meine Jugend, die nie
wieder jemand zurückbringen kann. Es war eine sehr schwere,
entbehrungsreiche Zeit. Wenn ich sehe, wie viel Potenzial ich noch habe und
wie viel Lebenszeit mir noch übrig bleibt, um mein Leben auszukosten und um
die Ziele zu verfolgen, die ich zu Beginn verfolgen wollte, dann macht mir
das jetzt im Nachhinein nichts mehr. Es ist nur die Erinnerung, die mich
manchmal fertigmacht.
Thema: Sie sagen, die Erinnerung macht Sie fertig. Jetzt prasseln aber
ständig Eindrücke über Sie herein wegen Verschwörungstheorien, Spekulationen
… schaffen Sie es daneben wirklich, ein halbwegs normales Leben zu führen?
KAMPUSCH:
Also halbwegs normal?!? Es ist sehr stressig. Ich habe mit zu vielen
Menschen zu tun. Das kann sich niemand vorstellen: Verrückte,
Verschwörungstheoretiker, ganz normale Menschen. Es ist wirklich alles
anstrengend und diese ganzen Ermittlungen in alle Richtungen und die
Pressespekulationen und die Anfeindungen der einfachen Leute auf der Straße,
das setzt mir sehr zu und ich komme mir vor wie bei einem Spießrutenlauf.
Thema: Was sind diese Anfeindungen?
KAMPUSCH: Das ist so eine innere
Wut, weil sie es nicht begreifen können, dass ich kein normales Opfer bin,
weil sie nicht verstehen können, dass, wenn die Medien meinen Fall
behandeln, dass das nicht ich bin, die da in die Medien drängt, sondern dass
ich eigentlich auch da Opfer bin. Und ich hab z. B. in einem Chatroom von
jemandem gehört: Mach dich nicht immer so wichtig, dein Gfries hält schon
keiner mehr aus. So etwas ist für mich belastend, weil ich gehe ja nicht in
die Medien. Wenn dann für Projekte und das möchte ich auch weiter tun und
forcieren.
Thema: Soziale Projekte.
KAMPUSCH: Soziale Projekte. Weil ich möchte den
Menschen helfen. Ich möchte das, was ich erreiche und bekomme, mit Menschen
teilen.
Thema: Viele sagen mir oft: Warum verlässt sie nicht das Land.
KAMPUSCH:
Das habe ich mir auch schon öfter überlegt, aber ich bin zu dem Schluss
gekommen: Warum sollte ich klein beigeben? Warum sollte ich als
Verbrechensopfer und als Mensch, dem man schon so viel im Leben genommen
hat, warum soll ich die Flucht ergreifen? Sollen doch bitte die anderen die
Flucht ergreifen. Ich nicht. Ich bleibe hier und lebe das Leben, das ich
gelebt hätte, wenn mir das alles nicht passiert wäre.
Thema: Abschließende Frage: Wie geht es mit der Schule? Die steht jetzt beim
Ende, habe ich gehört.
KAMPUSCH: Ja, das stimmt. Und ich möchte
natürlich weiter lernen und mich weiter fortbilden, um viele Dinge
kennenzulernen und um viele Möglichkeiten zu haben.
Thema: Frau Kampusch, beim Ermitteln des Staatsanwalts Mühlbacher konnten Sie Zweifel ausräumen, ich hoffe, dass Ihnen das auch jetzt bei unseren ZuseherInnen gelungen ist, damit Sie endlich zur Ruhe kommen können. Vielen Dank, dass Sie bei mir im Studio waren.