468 Kinder kommen nun zurück in die Fänge der Sekte, da deren Entfernung "unbegründet" war. Der Fall dürfte bis zum obersten US-Gericht gehen.
Die Justiz im US-Bundesstaat Texas hat die Rückkehr von 468 Kindern zu einer unter Missbrauchsverdachts stehenden polygamen Sekte verlangt. Die Entscheidung der Sozialbehörden, den Eltern die Kinder wegzunehmen, sei "unbegründet", urteilte der Oberste Gerichtshof von Texas am Donnerstag (Ortszeit) in Austin.
Andere Mittel besser als Trennung
Sozialarbeiter hatten die
Kinder Anfang April nach Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs durch
Sektenmitglieder von einer Ranch der Glaubensgemeinschaft abgeholt. Die
Richter befanden nun, um die Kinder zu schützen, gebe es andere Mittel als
die Trennung von den Eltern und Einweisung in Heime. Die Sozialbehörde
kündigte an, sich dem Urteil zu beugen.
Sozialbeamte hatten das riesige Gelände der Ranch der "Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (FLDS) Anfang April gemeinsam mit der Polizei durchsucht und die 468 Kinder weggebracht. Darunter waren auch schwangere minderjährige Mädchen. Begründet wurde der Einsatz mit Missbrauchsfällen bei der FLDS, die die Polygamie praktiziert. Mädchen würden unmittelbar nach Beginn ihrer Pubertät dazu gebracht, mit sehr viel älteren Männern zu verkehren, die als ihre "spirituellen Ehemänner" bezeichnet würden, lautete einer der Vorwürfe. Auch die Buben würden auf diese Praktiken eingeschworen.
Sozialbehörde soll Kompetenzen überschritten haben
Das
Oberste Gericht erklärte in seinem Urteil, die Sozialbehörde habe ihre
Kompetenzen überschritten. Die Mitarbeiter hätten "alle 468 Kinder der Ranch
ohne richterlichen Beschluss mitgenommen". Die Richter gaben damit einem
Bezirksgericht recht, das vor einer Woche ebenfalls von einer unrechtmäßigen
Maßnahme gesprochen hatte. Die Gesetzgebung gebe dem zuständigen
Bezirksgericht "weitreichende Befugnisse, die Kinder zu beschützen, ohne sie
von ihren Eltern zu trennen und in Pflege zu geben", erklärte der Oberste
Gerichtshof. Dazu gehöre zum Beispiel die Möglichkeit, "mutmaßliche Täter
aus der Umgebung des Kindes zu entfernen".
Die texanische Behörde für den Schutz von Familien, die alle Kinderschutzämter beaufsichtigt, will nun offenbar keine weiteren juristischen Maßnahmen ergreifen. Die Behörde kündigte an, "umgehend Schritte einzuleiten", um der Gerichtsentscheidung nachzukommen. Die Kinderschutzämter hätten "ein Ziel: die Kinder zu schützen", erklärte die Behörde in einer nach dem Urteil veröffentlichten Stellungnahme.
Mitglieder sind glücklich
Das FLDS-Mitglied Martha Emack,
deren ein und zwei Jahre alte Kinder in die Obhut der Behörden genommen
wurden, sagte nach dem Urteil: "Ich bin glücklich, sobald alle Kinder wieder
bei ihren Müttern sind und wir wieder zu Hause sind". Sektenmitglied Willie
Jessop sagte, die Familien hätten "katastrophale Traumata" erlitten. Diese
Geschehnisse würden "bleibende Schäden" hinterlassen, welche die Familien
ihr Leben lang begleiten würden.
Die Ranch, auf der die FLDS-Anhänger leben, wurde 2003 von ihrem selbst ernannten Propheten Warren Jeffs erworben. Jeffs wurde 2006 in Las Vegas verhaftet und wegen der Zwangsverheiratung eines minderjährigen Mädchens mit einem Cousin wegen Beihilfe zur Vergewaltigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Klärung der jüngsten Missbrauchsvorwürfe steht noch aus: Bisher wurde noch kein Verdächtiger festgenommen oder angeklagt.