Zwei Stunden lang musste der 41-Jährige Tim K. fahren und versuchte ihn zu beruhigen.
Sonst sieht man solche Situationen nur in Filmen wie "Collateral": Dort hält Schauspieler Tom Cruise als Auftragskiller seinem Kollegen Jamie Foxx als Taxifahrer eine Waffe an den Kopf und zwingt ihn zu einer blutigen Reise. Doch nicht in Los Angeles, sondern in der schwäbischen Provinz hat sich Ähnliches abgespielt - nach dem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden.
Amokläufer stieg in sein Auto
Igor Wolf wartet am
Mittwochmorgen vor dem Zentrum für Psychiatrie in Winnenden in seinem Auto.
Plötzlich reißt ein junger Mann die Autotür auf, setzt sich auf die Rückbank
und zwingt ihn mit der geladenen Beretta loszufahren. Die beiden
durchbrechen unentdeckt den ersten um 10.06 Uhr wegen des Amoklaufs
errichteten Sicherheitsring, in dem Autos kontrolliert werden. Das ist der
Anfangspunkt einer zweistündigen Irrfahrt durch den Großraum Stuttgart - der
41-jährige Wolf schwebt dabei ständig in Todesangst. Unklar ist, ob ihm
bekannt war, dass Tim K. zuvor zwölf Menschen, darunter neun Schüler,
kaltblütig ermordet hatte.
Geisel konnte flüchten
Die Fahrt führt über die B14 via
Waiblingen, Fellbach nach Stuttgart-Bad Cannstatt. Durch das Zentrum der
baden-württembergischen Landeshauptstadt geht es dann auf die A81 in
Richtung Böblingen, dann weiter in Richtung Tübingen. Über die B27 und die
B313 lässt Tim den Fahrer das Fahrzeug in Richtung Nürtingen lenken - immer
mit der großkalibrigen Pistole auf seinen Kopf zielend. Kurz vor dem
Wendlinger Kreuz zur Auffahrt auf die A8 sieht der Fahrer einen
Streifenwagen. Er wittert die Chance, lebend davonzukommen. Aus dem noch
rollenden Wagen rettet er sich und läuft auf die Beamten zu, die er umgehend
alarmiert.
Fahrer versuchte Tim K. zu beruhigen
Was außer den
Richtungsanweisungen zwischen Tim K. und seinem Fahrer noch gesprochen wird,
ist bis auf eine erschreckende Äußerung fast unbekannt. Was genau zwischen
den beiden vorging, werden wir jedoch bald erfahren. Denn die Geisel wird
nach anfänglicher Zurückhaltung den Horrortrip in bare Münze umwandeln. Igor
Wolf verkauft die Details einem Magazin und einem Fernsehsender. Bekannt ist
bisher die von der Polizei zitierte äußerst grausame Frage von Tim
angesichts eines kleinen Verkehrsstaus: "Soll ich mal Spaß machen und die
Autos und die Fahrer abknallen? " Laut Polizei hat der Fahrer beruhigend auf
den Burschen eingeredet und damit eventuell Schlimmeres verhindert. Nicht
auszudenken, was in der belebten Stuttgarter Innenstadt oder auf der
Autobahn sonst hätte passieren können.
Doch nimmt zu dem Zeitpunkt gegen 12.00 Uhr, an dem sich die beiden trennen, das Morden immer noch kein Ende: Der junge Mann geht vom abgestellten Fahrzeug in ein nahes Wendlinger Industriegebiet, wo er in einem Autohaus einen neuen Wagen verlangt. Als ihm nicht sofort Folge geleistet wird, erschießt er einen Verkäufer und einen Kunden. Das Finale des blutigen Dramas naht: Der Todesschütze richtet sich nach einem Feuergefecht mit der Polizei selbst, der Fahrer ist dem Amokläufer entronnen.