Auf Sozialen Medien sind "Crimefluencer" unterwegs - Freiwillige wollen helfen und Jugendliche warnen
"Bruder, ich kann es kaum erwarten, meine erste Leiche zu sehen." Diesen Satz schrieb ein Elfjähriger auf Instagram. Der Junge ist eines von vielen Opfern krimineller Banden in Schweden. Sie rekrutieren über Chat-Apps Kinder für Auftragsmorde, die wegen ihres Alters noch nicht strafrechtlich verfolgt werden. "Bleib motiviert, das kommt schon noch", antwortete ein 19 Jahre altes Bandenmitglied dem Jungen.
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Er bot dem Kind im Dezember vergangenen Jahres 150.000 Kronen (13.000 Euro) für einen Mord, dazu Kleidung und den Transport zum Tatort. Das geht aus den Ermittlungsakten der Polizei in der westlichen Provinz Värmland hervor, die die Nachrichtenagentur AFP einsehen konnte. In diesem Fall werden vier Männer im Alter von 18 bis 20 Jahren beschuldigt, vier Minderjährige zwischen elf und 17 angeworben zu haben, für eine kriminelle Bande zu arbeiten. Alle wurden festgenommen, bevor die Verbrechen verübt werden konnten.
Die Ermittlungsakten enthalten Fotos, die sich die Jugendlichen gegenseitig geschickt haben. Darauf posieren sie mit Waffen, manche mit nacktem Oberkörper. Er habe "cool" wirken und "seine Angst nicht zeigen" wollen, sagte der Elfjährige bei der Vernehmung.
Schweden ist seit langem mit Bandenkriminalität konfrontiert
Fälle wie diesen gibt es in Schweden viele. Das Land ist seit Jahren mit ausufernder Bandenkriminalität konfrontiert: Die Gangs kämpfen um die Kontrolle des Drogenmarktes, sie liefern sich Schießereien und verüben Anschläge mit selbstgebauten Sprengsätzen. 2023 starben 53 Menschen bei Schusswechseln, auch Unbeteiligte.
Die Banden sind komplex organisiert: Die Bandenchefs agieren vom Ausland aus über Mittelsmänner, die dann über verschlüsselte Messenger-Dienste wie Telegram, Snapchat oder Signal Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren rekrutieren, die noch nicht strafmündig sind.
"Es ist wie eine Art Markt organisiert, auf dem Aufträge in Diskussionsforen veröffentlicht werden, und die Personen, die die Aufträge annehmen, werden immer jünger", sagte Johan Olsson, Chef der nationalen Polizei, im Oktober vor Journalisten.
Auf Sozialen Medien sind "Crimefluencer" unterwegs
Es gebe auch "Crimefluencer" auf Tiktok, die nicht nur ihr kriminelles Leben zur Schau stellten, sondern auch den Kontakt zwischen Auftraggebern und Auftragskillern herstellten, sagt Sven Granath, Professor für Kriminologie an der Universität Stockholm. Manchmal würden auch Kinder in der Nachbarschaft direkt von Bandenmitgliedern angesprochen.
Die Zahl der Mordfälle in Schweden, bei denen ein Verdächtiger unter 15 Jahre alt war, stieg der Staatsanwaltschaft zufolge im Vergleich zum Vorjahr dramatisch an: 2023 waren es 31 Fälle in den ersten acht Monaten des Jahres, 2024 im gleichen Zeitraum bereits 102.
Die angeworbenen Kinder hätten oft Schwierigkeiten in der Schule, Aufmerksamkeitsstörungen, Suchtprobleme oder seien schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sagt der Kriminologe. "Sie werden in Auseinandersetzungen, zu denen sie keine Verbindung haben, als Söldner rekrutiert."
Kinder und Jugendliche auf der Suche nach Geld und Anerkennung
Einige Kinder suchen sich einem Bericht des Nationalen Rates für Kriminalprävention die Aufträge sogar selbst aus, weil sie auf der Suche nach Geld, einem Adrenalinstoß, Anerkennung oder dem Gefühl von Zugehörigkeit sind. "Heutzutage will jeder ein Mörder werden", sagt Viktor Grewe. Der 25-Jährige gehörte früher selbst einer Gang an. Mit 13 bekam er es zum ersten Mal mit der Polizei zu tun.
"Es ist unglaublich traurig zu sehen, wonach diese Kinder streben." Tony Quiroga, Polizist in Örebro 200 Kilometer westlich von Stockholm, spricht von einer "skrupellosen Ausbeutung von jungen Leuten, die gerade erst ihr Leben beginnen". Die Bandenchefs und Mittelsmänner "wollen selbst kein Risiko eingehen", sagt er. "Sie verstecken sich hinter Pseudonymen in sozialen Netzwerken und errichten mehrere Filter zwischen sich und den jungen Auftragskillern."
Freiwillige wollen helfen
In Örebro klappern Freiwillige abends die Straßen benachteiligter Stadtviertel ab und warnen Jugendliche vor der Gefahr, in die Fänge der Banden zu geraten. Diese jungen Leute glaubten nicht an eine Zukunft für sich, sagt Grewe, der mit 22 Jahren den Ausstieg aus der Kriminalität schaffte. Sie seien überzeugt, nicht älter als 25 zu werden.