In Port-au-Prince kommt es zu massiven Ausschreitungen. 70.000 Leichen wurden bisher beigesetzt.
Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti hat die Regierung den Notstand in dem zerstörten Karibikstaat ausgerufen. Der Ausnahmezustand gelte bis Ende Jänner, teilte der haitianische Minister für Alphabetisierung, Carol Joseph, am Sonntag in der Hauptstadt Port-au-Prince mit. Zudem gelte für den Zeitraum von vier Wochen eine nationale Staatstrauer, in der die Flaggen auf öffentlichen Gebäuden im ganzen Land auf Halbmast gesetzt würden. Nach Angaben des Ministers wurden zudem bisher 70.000 Leichen in Massengräbern beigesetzt.
Gewalt
In
der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince schlägt die Verzweiflung vieler
Überlebender des Jahrhundertbebens zunehmend in Gewalt um. Immer
häufiger kommt es zu Plünderungen. Mehr als fünf Tage nach dem verheerenden
Erdbeben finden Rettungskräfte aber auch noch weiter Überlebende. Allerdings
sinkt die Chance für die Verschütteten von Stunde zu Stunde dramatisch.
Unter den Trümmern eines eingestürzten Hotels entdeckten Helfer mit Suchhunden ein 16 Jahre altes Mädchen und bargen es. Auch auf dem Gelände des zerstörten UN-Hauptquartiers in der haitianischen Hauptstadt wurde am Sonntag ein Mitarbeiter aus den Trümmern gerettet. Mindestens 39 seiner Kolleginnen und Kollegen kamen dort aber um - darunter auch der Chef der UN-Mission, Hedi Annabi.
70 Menschen lebend geborgen
Nach Angaben der Vereinten Nationen
haben mehr als 1.700 Rettungskräfte bisher über 70 Menschen lebend aus den
Trümmern gerettet. Verschüttete könnten unter optimalen Bedingungen
bestenfalls bis Montag überleben, erklärte eine UN-Sprecherin.
Erschütternde Szenen spielten sich in einem stark zerstörten Altenheim ab. Für die 85 überlebenden Bewohner gibt es weder Lebensmittel noch Wasser oder Arzneimittel. Ein Bewohner ist bereits gestorben, weitere werden unweigerlich folgen, wenn nicht unverzüglich Wasser und Nahrungsmittel in dem Heim nur gut einen Kilometer vom Flughafen entfernt eintreffen, wie Leiter Jean Emmanuel sagt.
Am Alten Markt im Stadtzentrum ging die Polizei mit Tränengas gegen hunderte von steinewerfenden Plünderern vor. Mit Lastwagen fuhren die Sicherheitskräfte in die Menge und versuchten so, die Menschen auseinanderzutreiben.
Gewehrschüsse
In vielen Straßen der in Trümmern liegenden
Stadt waren Gewehrschüsse zu hören. Vermummte junge Männer zogen mit
Macheten durch die Stadtviertel. Die Behörden warnten davor, dass sich die
Gewalt weiter ausbreiten könnte. Mindestens zwei Plünderer wurden bereits
von Anwohnern zusammengeschlagen und erschossen.
Auch gegen Präsident Rene Preval richtet sich der Zorn der Menschen. Bisher ließ sich Preval weder bei den Rettungskräften sehen, noch wandte er sich seit dem Beben direkt an das Volk. Deshalb mehren sich die Rufe nach einer Rückkehr von Jean-Bertrand Aristide, der 2004 abgesetzt wurde und derzeit im Exil in Südafrika lebt.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bat die Menschen um Geduld. Am Samstag habe das Welternährungsprogramm (WFP) 40.000 Menschen versorgen können, sagte er bei einem Besuch in Port-au-Prince. Die Zahl werde innerhalb von zwei Wochen auf eine Million steigen. 14 Tage später würden etwa zwei Millionen Menschen versorgt werden können.
Clinton kommt
Am Montag wollte auch der frühere US-Präsident Bill
Clinton den bitterarmen Karibikstaat besuchen. Er werde Hilfsgüter abliefern
und sich mit den Führungspersönlichkeiten des Landes treffen, wie US-Medien
unter Berufung auf Clintons Stiftung berichteten. Demnach will Clinton, der
UN-Sonderbeauftragter für Haiti ist, mit Präsident René Préval und
Vertretern von Hilfsorganisationen zusammenkommen.
"Als UN-Sonderbeauftragter (...) fühle ich eine tiefgreifende Verpflichtung gegenüber dem Volk von Haiti, das Land zu besuchen und Präsident Préval zu treffen, damit sichergestellt ist, dass unsere Antwort (auf die Erdbebenkatastrophe) weiterhin koordiniert und wirkungsvoll bleibt", hieß es in einer am Sonntag von der Stiftung veröffentlichten Clinton-Erklärung.