Der 17-jährige Amokläufer richtete sich nach seinen Taten selbst.
Knapp sieben Jahre nach der Bluttat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat ein Amoklauf an einer Schule in Baden-Württemberg Entsetzen und Fassungslosigkeit ausgelöst: Ein 17-Jähriger tötete am Mittwoch in Winnenden nahe Stuttgart in Deutschland 15 Menschen und nahm sich nach einem Schusswechsel mit der Polizei selbst das Leben. Im US-Bundesstaat Alabama erschoss ein Amokläufer mindestens zehn Menschen, bevor er sich selbst tötete."Seid ihr immer noch nicht alle tot?"
Schweigend, aber in einen Bundeswehrtarnanzug gekleidet geht Tim K. gestern um 9.30 Uhr durch die Gänge der Realschule in Winnenden. Immer wieder öffnet er gezielt die Türen zu zwei Klassenzimmern – und feuert. Im Klassenraum der 10d – seinem ehemaligen Klassenzimmer – kommt es schließlich zum Showdown: Er schreit: „Seid ihr immer noch nicht alle tot?“ Eine Lehrerin wirft sich daraufhin schützend vor den Schüler – Tim K. drückt eiskalt ab und tötete sie.Auf seiner Flucht erschoss der Täter vor einem psychiatrischem Krankenhaus einen Beschäftigten der Klinik. Danach zwang er laut Polizei einen Autofahrer, ihn ins 30 Kilometer entfernte Wendlingen zu fahren. Dort ließ er den Fahrer frei.
Amokläufer richtete sich selbst
Vor einem Autohaus stellte die Polizei schließlich den Amokläufer. Bei einer Schießerei tötete er laut Polizei einen 36-jährigen Mitarbeiter des Autohauses und einen 46-jährigen Kunden. Bei einem Schusswechsel sei er von der Polizei angeschossen worden und habe anschließend seine Waffe gegen sich selbst gerichtet, sagte ein Polizeisprecher. Zwei Polizisten erlitten schwere Verletzungen. Insgesamt wurden laut Polizei acht Menschen bei dem Amoklauf verletzt.
Tim K. als Kind; Foto: (c) Reuters
Motiv völlig unklar
Das Motiv für den Amoklauf an einer Schule in Winnenden ist nach den Worten von Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech nach ersten Ermittlungen unklar. Die Hintergründe der Tat lägen noch im Dunkeln, sagte Rech am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz in Waiblingen. Es habe keine Hinweise auf die Tat wie etwa Ankündigungen im Internet gegeben.
War er ein Frauenhasser?
Auffällig sei, dass es sich bei den Getöteten um sieben Schülerinnen und ein lediglich einen Schüler handle. Zudem habe der Täter drei Lehrerinnen erschossen. "Ich will daraus aber noch nichts ableiten", sagte Rech.
Das Elternhaus des Täters/ (c) AP
Frustrierter Einzelgänger
Fakt ist: In der Realschule von Winnenden hatte der 17-Jährige am 11. Juli 2008 seinen Abschluss gemacht.
Ein ehemaliger Klassenkamerad berichtet, Tim K. sei ein Einzelkind und „schwer frustriert“ gewesen. Während andere Schulkollegen auf weiterführende Schulen gewechselt haben oder sich für Ausbildungen entschieden hätten, sei er ziellos gewesen.
Die Schulleistungen des Amokläufers seien "schlecht bis mangelhaft" gewesen. "Man kann sagen, seit er auf der Realschule war, hat er jedes Jahr so gerade geschafft." Seit er elf, zwölf Jahre alt war, habe der Amokläufer "diese Spielzeugwaffen, diese Softair" gehabt. Mario H.: "Manchmal auf dem Spielplatz hat er mit anderen aus der Klasse oder aus der Umgebung aufeinander geschossen."
Täter war Waffennarr
Seine Freizeit verbrachte Tim K. nie mit seinen Schulkollegen. Was ihn vielmehr interessierte, war die Waffensammlung seiner Eltern: Insgesamt 16 Schusswaffen besitzt sein Vater, der nach Angaben der Polizei ein begeisterter Sportschütze ist. Bei der Hausdurchsuchung in dem kleinen Einfamilienhaus in Winnenden wurde schließlich festgestellt, dass eine Waffe fehlte. Was Tim K. zu der Wahnsinnstat trieb, ist bisher ungeklärt. Wie eiskalt er bei der Tat vorging, zeigt aber seine stundenlange Flucht. Der zuständige Kultusminister Rau betonte: Tim K. sei nie in irgendeiner Form auffällig gewesen. Allerdings, so Rau: „Offensichtlich hat Tim K. eine doppelte Identität gehabt.“
Erste Leichen werden abtransportiert
Nach dem Amoklauf von Winnenden sind am Mittwochabend die ersten Leichen getöteter Schüler aus der Albertville-Realschule abtransportiert worden. Mehrere Bestattungswagen fuhren gegen 18.00 Uhr vor, anschließend brachten Mitarbeiter die Leichen weg.
Ganz Deutschland entsetzt
Der Amoklauf lösten bundesweit Entsetzen aus. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie sei "wie alle Menschen in Deutschland entsetzt, bestürzt und fassungslos über das, was heute an der Albertville-Realschule in Winnenden" geschehen sei. Dies sei "ein Tag der Trauer für ganz Deutschland". "Unsere Gedanken sind bei den Familien, den Angehörigen", schloss Merkel.
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau Eva erklärten: "Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien und Freunden." Auch Vertreter aller Parteien brachten ihre Bestürzung zum Ausdruck. Mit einer Schweigeminute gedachte das Europaparlament in Straßburg der Opfer des Amoklaufs von Winnenden.
Bessere Sicherung von Schulen
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte eine bessere Sicherung von Schulgebäuden. Es müsse überprüft werden, welche baulichen Voraussetzungen geschaffen werden könnten, damit "während der Unterrichtszeit nicht jeder X-Beliebige" in eine Schule laufen könne, erklärte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg.
Amoklauf in den USA
In den USA hat zuvor ein Amoklauf eines Mannes im Bundesstaat Alabama mindestens zehn Menschen das Leben gekostet (mehr dazu hier). Ob sich der deutsche Amokläufer davon beeinflussen ließ, ist noch nicht bekannt. Auch über das genaue Motiv wird weiter gerätselt.